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| 17 | 11 | 2025 | Schweiz | |
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Obwohl niemand die extreme Giftigkeit von Deltamethrin bezweifelt, verzögert der Bundesrat die Festlegung von Grenzwerten. Geplant war diese bereits für den vergangenen Sommer. In der Zwischenzeit geht das Spritzen munter weiter.
Es sind Aussagen, die aufhorchen lassen: «Es handelt sich um die giftigste Chemikalie, für die ich jemals einen Grenzwertvorschlag erarbeitet habe», so Marion Junghaus, Risikoexpertin am Schweizer Oekotoxzentrum. Oder etwa der Schaffhauser Kantonschemiker Kurt Seiler: «Ein Tropfen kann einen ganzen Bach verseuchen.»
Worum gehts? In Bundesbern tobt ein Kampf um den Gewässerschutz. Es geht um die Frage, ob elf Substanzen vom Bundesrat neu in die Gewässerschutzverordnung aufgenommen werden sollen. Wichtigste Substanz ist dabei Deltamethrin – und genau auf diesen Stoff beziehen sich die obigen Aussagen.
Bei Deltamethrin handelt sich um den Hauptbestandteil mehrerer Präparate, welche als Pflanzenschutzmittel verwendet werden. Für die Landwirtschaft ist Deltamethrin ein Segen. Es ist hochwirksam – und: Es gibt keinen Grenzwert. Mit anderen Worten: Die Schweizer Landwirtschaft kann so viel und so häufig Deltamethrin spritzen, wie es eben passt.
Gegenüber dem SRF bekräftige der Schweizer Bauernverband, dass die Landwirtschaft auf das Deltamethrin angewiesen sei. Dazu muss man wissen: In den vergangenen Jahren wurden in der Schweiz zahlreiche Pflanzenschutzmittel aufgrund neuer Erkenntnisse zu ihren Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt verboten. Das unregulierte Deltamethrin ist da eine willkommene Alternative, um die Erträge vor Schädlingen zu schützen. David Brugger, Leiter Pflanzenbau beim Schweizer Bauernverband, sagt dazu: «Wir können erst auf das Deltamethrin verzichten, wenn wirksame Alternativen bestehen.»
Kurt Seiler gegenüber Rundschau SRF
So willkommen Deltamethrin in der Landwirtschaft ist, so schädlich ist es für Wasserlebewesen. Auf Anfrage erklärt Andrin Krähenbühl von der Fischereiberatung FIBER: «Pyrethroide (zu denen das Deltamethrin gehört, Anm. d. Red.) sind Insektizide, die für Wasserlebewesen generell sehr giftig sind.» Bei geringen Mengen würden diese Nervengifte vor allem die Mobilität und das Verhalten von Wasserinsekten verändern. Es können jedoch nicht nur Insekten, sondern auch Fische vom Deltamethrin geschädigt werden: «Bei Salmoniden kann auch das Riechvermögen betroffen sein. Solche Effekte können sich negativ auf die Vermehrung, das Wachstum und das Überleben dieser Tiere auswirken.»
David Brugger, Schweizer Bauernverband
Das Team des Schaffhauser Kantonschemikers Kurt Seiler prüft regelmässig die Konzentration von Pflanzenschutzmitteln in Gewässern – und stellt häufig Konzentrationen an Deltamethrin fest, die ihm Kopfweh bereiten. Etwas gegen die Situation tun könne er aber nicht, wie er gegenüber SRF sagt: «Wir messen, aber die Messungen haben anschliessend keine Folgen. Wir können keine Massnahmen ergreifen, uns sind die Hände gebunden», so Seiler sichtlich frustriert gegenüber der «Rundschau».
Grund dafür ist die Tatsache, dass das Deltamethrin nach wie vor nicht in die Gewässerschutzverordnung aufgenommen wurde. Mit Aufnahme ginge die Erarbeitung eines Grenzwerts einher. «Wir haben keinen Massstab, an dem wir uns orientieren können», sagt Seiler. Ursprünglich war geplant, dass der Bundesrat bis im Sommer Grenzwerte für Deltamethrin festlegen lässt. Passiert ist bis heute nichts.
Wie der Bundesrat Ende Mai mitteilte, verschiebt sich die Revision der Gewässerschutzverordnung, die unter anderem einen Vorstoss des ehemaligen SFV-Präsidenten Roberto Zanetti umsetzen soll, weiter nach hinten. «Die Eröffnung der Vernehmlassung ist für Herbst 2025 geplant», so die Landesregierung.
Johanna Gapany, Präsidentin zweier landwirtschaftlicher Interessenverbände, fordert, dass die Regeln über den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln weiter gelockert werden. Dahinter steckt die Befürchtung, dass die Einführung von Grenzwerten den Einsatz von Deltamethrin verunmögliche. Denn wegen seiner enormen Giftigkeit wären diese so tief, dass Deltamethrin nicht mehr in den nötigen Mengen eingesetzt werden könnte. Der Bundesrat, in dem vier der sieben Mitglieder eine Nähe zur Landwirtschaft haben oder selbst Landwirte sind, hat in seiner Antwort erklärt, die Regulierung von Pestiziden lockern zu wollen.
Ständerätin Johanna Gapanys (FDP/FR) Vorstoss ist lediglich einer von verschiedenen Versuchen, um die Gewässerschutzverordnung zu lockern. Wie die Rundschau bereits im Februar zeigte, dürfte die Verschiebung der Revision auf intensives Lobbying seitens der Landwirtschaft zurückgehen. Sie steht in scharfem Kontrast zu internen Dokumenten des Bundesamts für Umwelt. Laut der «Rundschau» weisen diese in dringlichen Worten auf die Risiken von Deltamethrin hin.
Obwohl die Vernehmlassung also erst im Herbst starten soll, hat das Bundesamt für Umwelt bereits eine «Konsultation» mit Anspruchsgruppen durchgeführt. Zu den Konsultierten gehören die kantonalen Umweltämter, der Bauernverband und die kantonalen Pflanzenschutzdienste. Natur- und Umweltschutzorganisationen oder auch der Schweizerische Fischereiverband wurden jedoch nicht konsultiert. Die Frage, nach welchen Kriterien entschieden wurde, welche Anspruchsgruppen konsultiert wurden und welche nicht, beantwortet der Sprecher auf Anfrage nicht.
Kilian Baumann, Präsident Kleinbauernvereinigung
Der Zürcher Umweltrechtsexperte Hans Maurer kritisiert das Vorgehen: «Es liegt ein Verstoss gegen das Vernehmlassungsgesetz vor, weil einzelne Anspruchgsgruppen bevorzugt und rechtsungleich behandelt worden sind. Noch schlimmer ist, dass diesen Rückmeldungen auch noch Folge geleistet wurde», so Maurer.
Überhaupt bemängelt Maurer das Vorgehen des Bundesrats. Denn es sei nicht erlaubt, für gefährliche Pestizide keine Grenzwerte festzulegen: «Hier gibt es keinen Ermessensspielraum, weil diese Stoffe nach Gewässerschutzverordnung in die Gewässerschutzverordnung aufgenommen und entsprechende Grenzwerte festgelegt werden müssen.» Denn, so Maurer weiter: «Das ist kein politischer Entscheid. Es geht um die Frage, wie man die Gewässerschutzverordnung korrekt umsetzt.»
Ebenfalls beunruhigt ist SFV-Vize-Präsident Stefan Wenger: «Man geht davon aus, dass bereits eine zuckerwürfelgrosse Menge mehrere Kilometer Gewässer vollständig vergiften kann.» Darum setze sich der SFV zusammen mit Umweltverbänden und weiteren Organisationen gegen übermässigen Pestizideinsatz ein.
Zusätzlich weist Wenger darauf hin, dass vergleichbare Stoffe wie etwa Fipronil nicht nur im Zusammenhang mit der Landwirtschaft von Bedeutung seien, sondern auch, weil sie etwa bei Hunden als Mittel gegen Floh- und Zeckenbefall angewendet würden. «Studien aus England haben gezeigt: Unterhalb von Gewässerabschnitten, in denen viele Hunde baden, ist die Sterblichkeit von Fischen und Wasserlebewesen erhöht», so Wenger. SFV-Präsident und SP-Ständerat Daniel Jositsch hat einen Vorstoss mitunterzeichnet, welcher sich mit der Thematik beschäftigt.
Dass nicht alle Landwirtschaftsvertreter die Sichtweise der Landwirtschaftslobby teilen, zeigt sich an Kilian Baumann. Kurzfristig sei es zwar im Interesse der Landwirtschaft, wenn die Kulturen ausreichend geschützt werden können, sagt der Grünen-Nationalrat und Präsident der Kleinbauernvereinigung im Gespräch mit «Petri-Heil». Aber: «Längerfristig müssen wir, im Interesse der gesamten Gesellschaft, wegkommen von den gefährlichsten Pflanzenschutzmitteln, dazu braucht es eine nachhaltigere Ausrichtung der gesamten Agrarpolitik.» Um dies zu erreichen, müssten auch die bürgerlichen Landwirtschaftsvertreter mithelfen, ist der Landwirt überzeugt.
Von den eingangs elf erwähnten Pestiziden, welche in die Gewässerschutzordnung aufgenommen werden sollten, sollen vier gestrichen werden. Baumann erkennt in der ganzen Sache die Handschrift von SVP-Bundesrat Albert Rösti: «Das Bundesamt für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation beziehungsweise Bundesrat Rösti selbst will die vier Stoffe Deltamethrin, Flufenacet, Foramsulfuron und Lambda-Cyhalothrin aufgrund von Rückmeldungen vom Schweizerischen Bauernverband und kantonalen Pflanzenschutzdiensten nicht auf die Liste nehmen.» Die Kleinbauernvereinigung schliesse sich hier der Expertenmeinung an, erklärt Baumann: «Aus unserer Sicht wäre das eine Umgehung des Gewässerschutzgesetzes.»
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