Fischbesatz in Seen – funktioniert das?
05 | 02 | 2016 SchweizText: Corinne Schmid & Bänz Lundsgaard-Hansen, FIBER 06311
05 | 02 | 2016 Schweiz
Text: Corinne Schmid & Bänz Lundsgaard-Hansen, FIBER 0 6311

Fischbesatz in Seen – funktioniert das?

Felchen und Seesaiblinge sind wichtige Fische für die Berufs- und Angelfischerei. Ihre natürliche Fortpflanzung war im letzten Jahrhundert durch hohe Nährstoffeinträge aus Landwirtschaft und Siedlungsabwässer in unsere Seen jedoch stark beeinträchtigt. Mit Besatz versuchte man die Fischbestände zu stützen. Heute ist die Wasserqualität wieder deutlich besser – braucht es den Besatz nun immer noch oder funktioniert die Naturverlaichung wieder?

Seesaiblinge und Felchen gehören wie die Forelle zu den lachsartigen Fischen (Salmoniformes). Sie mögen kühles und sauerstoffreiches Wasser, und so finden sie in unseren Alpenrandseen ideale Lebensräume vor. Viele Arten laichen in eher tieferem Wasser und sind für eine erfolgreiche Fortpflanzung auf kiesigen Grund und gute Sauerstoffverhältnisse angewiesen. Die Sauerstoffverfügbarkeit wurde im letzten Jahrhundert durch die erhöhten Nährstoffeinträge (Eutrophierung) jedoch stark reduziert. Weil die Sauerstoffknappheit in grossen Tiefen besonders ausgeprägt ist, hat dies vor allem für tief laichende Fischarten teilweise fatale Folgen: Die abgelegten Eier werden nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt und sterben. Die natürliche Fortpflanzung wird dadurch schwer beeinträchtigt oder sogar unmöglich.

Unsere Seen waren unterschiedlich stark von der menschgemachten Eutrophierung betroffen (Siehe Abb. 1). Durch strengere Auflagen in der Landwirtschaft, den Ausbau der Kläranlagen und das Phosphatverbot für Waschmittel in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts  hat sich die Wasserqualität stark verbessert und die Phosphorwerte befinden sich heute wieder auf einem ähnlichen Niveau wie vor der Eutrophierung. Doch gibt es auch schon im Sediment am Gewässergrund genügend Sauerstoff für eine erfolgreiche Eientwicklung von lachsartigen Fischen? Mit gezielten Erfolgskontrollen können wir versuchen heraus-zufinden, ob die Naturverlaichung der Seesaiblinge und Felchen wieder funktioniert oder ob Besatzmassnahmen zur Stützung der Bestände nach wie vor nötig sind.


Wie markiert man 1 Million Fische?

Werden pro Fliessgewässerabschnitt normalerweise einige hundert bis ein paar tausend Fische eingesetzt, können es in einem grösseren See schnell einige Hundertausend bis mehrere Millionen Stück sein. Für Erfolgskontrollen in Seen müssen also sehr viele Fische markiert werden. Eine dafür geeignete Methode ist die Markierung der Gehörknöchelchen der Fische. Die Eier oder Jungfische werden dazu bis zu einem Tag in Wasser mit einem Farbstoff gehältert. Dabei nehmen sie diese Farbe auf, welche sich in den Gehörknöchelchen ablagert und noch Jahre unter einem speziellen Mikroskop klar erkennbar ist. (Abb.2).

 Abbildung 1: Phosphor-Gehalt in verschiedenen Schweizer Seen von 1951 bis 2013. Bei allen ist jüngst ein Rückgang zu beobachten.

Abbildung 1: Phosphor-Gehalt in verschiedenen Schweizer Seen von 1951 bis 2013. Bei allen ist jüngst ein Rückgang zu beobachten.

 Abbildung 2: Links ein nicht markiertes Gehörknöchelchen, rechts ein markiertes Gehörknöchelchen. Im Labor können die Besatzfische durch den abgelagerten Farbstoff noch Jahre später als solche identifiziert werden. Fotos: AquaBios

Abbildung 2: Links ein nicht markiertes Gehörknöchelchen, rechts ein markiertes Gehörknöchelchen. Im Labor können die Besatzfische durch den abgelagerten Farbstoff noch Jahre später als solche identifiziert werden. Fotos: AquaBios

 Der Hallwilersee war einer der am stärksten mit Nährstoffen belasteten Seen. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Sauerstoffverhältnisse in grösseren Tiefen und kann die natürliche Fortpflanzung von lachsartigen Fischen stark einschränken oder verunmöglichen.

Der Hallwilersee war einer der am stärksten mit Nährstoffen belasteten Seen. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Sauerstoffverhältnisse in grösseren Tiefen und kann die natürliche Fortpflanzung von lachsartigen Fischen stark einschränken oder verunmöglichen.

 Abbildung 3: Prozentualer Anteil von naturverlaichten (grün) und aus dem Besatz stammenden lachsartigen Fischen (grau) im Genfersee. Die Seesaiblinge wurden in drei Alterklasse (2+, 3+ und 4+) unterteilt. Die Besatzfische haben eine höhere Sterblichkeit als ihre aus der natürlichen Fortpflanzung stammenden Artgenossen, deshalb nimmt der Anteil Seesaiblinge aus der Naturverlaichung über die Jahre zu. (Daten: Internationale Kommission der Genfersee-Fischerei)

Abbildung 3: Prozentualer Anteil von naturverlaichten (grün) und aus dem Besatz stammenden lachsartigen Fischen (grau) im Genfersee. Die Seesaiblinge wurden in drei Alterklasse (2+, 3+ und 4+) unterteilt. Die Besatzfische haben eine höhere Sterblichkeit als ihre aus der natürlichen Fortpflanzung stammenden Artgenossen, deshalb nimmt der Anteil Seesaiblinge aus der Naturverlaichung über die Jahre zu. (Daten: Internationale Kommission der Genfersee-Fischerei)


Besatzerfolg von Art zu Art unterschiedlich

Eine Untersuchung mit dieser Markierungsmethode wurde kürzlich im Genfersee durchgeführt. Die Fangzahlen der Seesaiblinge und Forellen waren hier seit mehreren Jahren rückläufig, währenddem die Felchenfänge stetig stiegen. Die internationale Kommission der Genfersee-Fischerei wollte den Ergebnissen der Fangstatistiken etwas genauer auf den Grund gehen und wissen, woher die gefangenen Lachsartigen stammten. Waren die Besatzmassnahmen massgeblich für die Fänge verantwortlich oder stammte ein Grossteil der Seesaiblinge, Forellen und Felchen aus der natürlichen Fortpflanzung? Dazu wurden alle jungen Seesaiblinge und Forellen von einem Jahrgang (je fast eine Million) an den Gehörknöchelchen markiert. In den Folgejahren wurden die Köpfe der Fische von den Anglern und Berufsfischern gesammelt und jeder gefangene Fische konnte dann im Labor anhand der Markierung im Ohr als Besatz- oder Wildfische identifiziert werden. 

Es zeigte sich, dass nur etwa jede fünfte der gefangenen Forellen aus dem Besatzmaterial stammte. Dabei wurden grosse Unterschiede festgestellt, was die Überlebenswahrscheinlichkeiten von verschiedenen Altersklassen und der Ort des Besatzes angingen: Brütlingsbesatz in die kleineren Zuflüsse war am erfolgsreichsten. Solche gewässerspezifischen Informationen helfen, die laufende Besatzpraxis stets zu optimieren.

Bei den Seesaiblingen waren die Besatzmassnahmen erfolgreicher: Über zwei Drittel der rückgefangenen Fische stammten aus dem Besatzmaterial. Die meisten davon waren Nachkommen von Elterntieren aus dem Laichfischfang und nur wenige stammten von einem domestizierten Zuchtstamm ab (Muttertierhaltung). Dies bestätigt, was bereits andere Untersuchungen gezeigt haben: Jungfische von wilden Elterntieren sind genetisch besser für die natürlichen Bedingungen im Gewässer ihrer Eltern gerüstet als Nachkommen von einem domestizierten Zuchtstamm. 

Bei den Felchenfängen im Genfersee sah es anders aus: Es wurden so viele Felchen gefangen, dass der Anteil eingesetzter Felchen maximal 1% bis 4% ausmachte! Dies zeigt klar, dass im Genfersee die natürliche Fortpflanzung der Felchen wieder sehr gut funktioniert und Besatzmassnahmen zwecks Stützung der Bestände nicht nötig sind. Diese werden gemäss Aussagen des Fischereiverwalters des Kanton Waadt, Frédéric Hofmann, deshalb nur noch im kleinen Rahmen zur Erhaltung des Knowhows und als Absicherung im Fall eines grossen Fischsterbens fortgeführt. 

Der Besatzerfolg im Genfersee unterscheidet sich stark von Art zu Art. Während bei den Seesaiblingen der grössere Teil der Fänge aus dem Besatzmaterial stammt, findet man kaum Felchen, die nicht aus der Naturverlaichung kommen. Dies hat wahrscheinlich mit den unterschiedlichen Laichgebieten der beiden Arten zu tun. Früher fanden die Seesaiblinge ideale Laichbedingungen in den Bereichen der Zuflüsse, wo es durch das Geschiebe der Flüsse bis in grosse Tiefen stets ausreichend frischen Kies gab. Heute ist der Geschiebetrieb stark eingeschränkt und so könnte der für die Fortpflanzung benötigte Kies Mangelware sein. Weil die Saiblinge eher tief laichen, könnten auch die Sauerstoffverhältnisse in grossen Seetiefen ein limitierender Faktor sein. Die Felchen hingegen laichen auch in weniger tiefen Bereichen an vielen verschiedenen Stellen und ihre Fortpflanzung funktioniert offensichtlich uneingeschränkt.


Besatzerfolg von See zu See unterschiedlich

So wie sich der Besatzerfolg von Art zu Art unterscheidet, finden wir auch enorme Unterschiede bei Besatzmassnahmen der gleichen Art in unterschiedlichen Seen. Eine erst kürzlich durchgeführte Untersuchung am Hallwilersee hat sich mit dem Besatzerfolg der Felchen befasst. Der fehlende Sauerstoff im Tiefenwasser des Sees hatte zum Aussterben der ursprünglichen Felchenpopulation geführt. Mit der Belüftung des Sees versucht man seit über 30 Jahren, die Sauerstoffsituation zu verbessern und der Felchenbestand wird durch Besatzmassnahmen aufrechterhalten. Die Wasserqualität hat sich in den letzten Jahren stetig verbessert und die Felchenfänge sind wieder mehr geworden. Im Auftrag der Sektion Jagd und Fischerei des Kantons Aargau wurden nun die Gehörknöchelchen von allen Besatzfischen eines Jahrgangs markiert, um zu überprüfen wie gut die Fortpflanzung der Felchen im See funktioniert. Die Resultate zeigen deutlich, dass diese immer noch stark beeinträchtigt ist: Über 90% der Jungfische stammten von den Besatzmassnahmen. Trotzdem: Es gibt wieder Felchen, die sich im Hallwilersee natürlich fortpflanzen können! Es ist zu erwarten, dass ihr Anteil mit einer weiteren Verbesserung des Sauerstoffhaushalts im See in Zukunft noch grösser werden wird. 

Ein ähnliches Projekt wurde bereits am Bodensee von der Universität Konstanz und der Fischereiverwaltung St. Gallen im Auftrag der Fischereiorganisation IBKF durchgeführt. Im Jahr 2003 wurden die Besatzfische an den Gehörknöchelchen markiert und ihr Anteil am Jahrgang nach einem halben Jahr überprüft. Über 60 Prozent der gefangenen 0+ Fische stammten aus dem Besatzmaterial. Wie viele dieser Fische gingen den Fischern wohl später in die Netze oder an den Haken? Am Bodensee wurde zwei und drei Jahre später beim Laichfischfang der Anteil markierter Felchen erneut überprüft: Das Resultat fiel ähnlich aus wie bei den 0+ Fischen. Die eingesetzten Felchen konnten sich über die Jahre hinweg im Bodensee anscheinend sehr gut halten! 

Zu einem etwas anderen Ergebnis gelangte die Studie am Genfersee, die sich ebenfalls mit dieser Frage befasst hatte: Stammten bei den  2+ Seesaiblingen noch über 80 Prozent aus dem Besatzmaterial, so waren es zwei weitere Jahre später bei den 4+ Fischen noch weniger als 50 Prozent  (Abb.3). Über die Jahre können sich hier die Fische aus der Naturverlaichung also besser behaupten als ihre Artgenossen aus der Brutanstalt.

Diese Erfolgskontrollen von einer Fischart in unterschiedlichen Seen zeigen auf, dass der Besatzerfolg sehr stark von den im Gewässer herrschenden Bedingungen abhängt.


Die Richtung stimmt!

Aber warum funktioniert die natürliche Fortpflanzung in manchen Gewässern nicht richtig, obwohl der Phosphorgehalt wieder im ursprünglichen Bereich liegt? Sofern die Laichplätze nicht anderweitig (z. B. durch fehlenden Kies) beeinträchtigt sind, ist die Antwort in diesen Fällen vermutlich vor allem in den Sedimenten zu suchen, wo die Eier für die Entwicklung zu liegen kommen. In einst stark belasteten Seen sind die Sedimente nämlich immer noch praktisch sauerstofffrei und entziehen dem Wasser nach wie vor Sauerstoff. Bei einem in der Vergangenheit sehr stark belasteten See wie dem Hallwilersee dürfte dieser Zustand noch anhalten. Aber: Die gut funktionierende Naturverlaichung der Felchen im in der Vergangenheit doch auch recht stark belasteten Genfersee lässt hoffen, dass in vielen anderen weniger belasteten Seen die Fortpflanzung ebenso gut oder sogar noch besser funktioniert. Geplante Besatzerfolgskontrollen am Boden- und Hallwilersee, sowie hoffentlich an weiteren Seen, werden in Zukunft Aufschluss darüber geben, ob die natürliche Fortpflanzung einzelner Arten in den verschiedenen Seen funktioniert oder ob stützende Massnahmen weiterhin nötig sind.

Dieser Artikel basiert auf mehreren Untersuchungen und Berichten. Auf Anfrage stellt FIBER Ihnen diese gerne zu. 

 

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