Frühlingserwachen
18 | 03 | 2019 DiversesText: Steff Aellig | Illustrationen: Patrick Stieger 04292
18 | 03 | 2019 Diverses
Text: Steff Aellig | Illustrationen: Patrick Stieger 0 4292

Frühlingserwachen

Es ist höchste Zeit, Fischers Frau ein Kränzchen zu winden. Was sie alles mitmacht und ertragen muss mit mir als Angler – ich krieg Gänsehaut vor Ehrfurcht und Zuneigung. Echt jetzt. Und wenn ich nicht aufpasse, dann wachsen diese Gefühle ins Unermessliche. Auf Frühlingsanfang zum Beispiel. Da scheu ich keine Kosten.

Denn einmal im Jahr kommt sie mit mir aufs Boot. Dann, wenn die Frühjahrsfelchen so richtig scharf sind auf die Nymphen. Klar, das muss ein perfekter Tag werden, dafür gebe ich alles: Voller Tank, sauberes Boot, wärmende Sonne im Gesicht – und vor allem: Wertvolle Infos über Hotspot und Hegenenfarbe. Damit so richtig die Post abgeht. Fischermäs­sig, meine ich. Und ich muss zugeben: Sie hat das «Felchelen» verdammt gut drauf, dafür, dass sie es genau einmal im Jahr macht. Sind vielleicht die Reflexe vom Volleyball. Kumpels im Nachbarboot reis­sen auch schon mal entnervt den Motor an, weil sie es nicht mehr aushalten, dass Fischers Frau immer wieder eine krumme Rute hat, und sie selber keinen Biss hinkriegen. Meinen Stolz auf sie zeig ich ihr natürlich nicht offen. Aber an solchen Frühlingstagen wird mir klar: Ich hab ein gutes Los gezogen mit Fischers Frau. Nicht so mein Kumpel Reto. Er hat schon viermal gezogen – alles Nieten.

Bei der ersten hat es eigentlich nicht an ihm gelegen. Denn er beichtet es ihr gleich zu Beginn. Keine Heimlichtuerei, kein Versteckspiel. Schon beim ersten Date gerade heraus: «Ich bin Fischer!» Überraschenderweise findet sie das irgendwie sexy. «Echt jetzt?», flüstert sie bewundernd. Die Nacht danach sei Hammer gewesen, erzählt mir Reto. Vielleicht nicht so schlau, dass sie schon einen Monat später bei ihm einzieht. Denn nach weiteren zwei Monaten zieht sie bereits wieder aus. «Sie ist einfach noch nicht bereit für die Fischerei und das ganze Drumherum», meint Reto achselzuckend. 

Dann hat Reto seinen zweiten Frühling. Zu Beginn blüht alles um ihn herum rosarot. Doch dann geht es um Kohle. Denn er kratzt sein gesamtes Erspartes zusammen und kauft in den Staaten ein sündhaft teures «Bass Boat». Aluminium, mit so drehbaren Sesseln auf Rohren. Uns treiben nur schon die Fotos die Tränen in die Augen. Seiner Freundin auch, vor allem als Reto ihr den Preis gesteht und sie realisiert, dass dieses Jahr keine gemeinsamen Ferien mehr drinliegen. Seine Solo-Woche in Alaska hat zum Glück schon stattgefunden. Wirklich dumm ist, dass Reto erst nach dem Importieren klar wird, dass die hiesige Schifffahrtsbehörde diese amerikanische Rumpfform niemals zulassen wird. Irgendwas mit zu tiefem Freibord oder so – ich habs nicht ganz verstanden. Auf jeden Fall muss er das Boot für einen Bruchteil des Kaufpreises verhökern. Doch da ist sie längst weg.

Beim dritten Frühling ist dann Sex im Spiel. Ich hab ihn ja gewarnt: «Reto, das wird nicht lange gutgehen!» Da liegt er einen ganzen Sommer lang allein fast jede Nacht auf der Sandbank am See und wartet in der Liege hinter seinen Welsruten, bis die Bissanzeiger zwitschern. Wir alle wissen: Auch Frauen haben Bedürfnisse. Und als Reto eines nachts von einem Gewittersturm überrascht wird und schon um vier Uhr in der Früh heimkommt statt erst um zehn, ist sein Platz im Bett noch besetzt. Und bleibt es auch.

Seither ist Reto Single. Und hat das, wovon wir andern immer träumen: Jede Menge Zeit zum Angeln. Und niemand, der mit vorwurfsvollem Unterton fragt: «Schon wieder Fischen?» Aber ihm fehle etwas, gesteht er mir letzthin, als wir Rücken an Rücken auf dem Boot stehen und unsere Hechtgummis auswerfen. Er warte auf den vierten Frühling. «Schau du gut zu deiner!», warnt er mich, «es gibt noch andere Werte im Leben als nur Fischen» – und setzt einen heftigen Anschlag, als der Biss kommt. Der Fisch hängt, die Rute krumm bis unters Boot. «Ist das nicht das Geilste im Leben?!», ruft er. Und mir wird schlagartig klar: Das ist sein vierter Frühling, mehr liegt nicht drin.


Steff Aellig ist Psychologe und arbeitet als Wissenschaftsjournalist. In seiner Kolumne schreibt er über die Abgründe seiner Angel-Sucht – und findet heraus, was ihn in seinem Alltag als Ehemann und dreifachen Familienvater alles daran hindert, diese Sucht auszuleben.

0 Kommentare


Keine Kommentare (Kommentare erscheinen erst nach unserer Freigabe)


Schreibe einen Kommentar:

Anzeige
Anzeige
Zurück zur Übersicht

Das könnte Dich auch interessieren: