Mindestmass oder Entnahmefenster – wo liegt der Unterschied?
26 | 10 | 2015 SchweizText: Bänz Lundsgaard-Hansen, FIBER 114049
26 | 10 | 2015 Schweiz
Text: Bänz Lundsgaard-Hansen, FIBER 1 14049

Mindestmass oder Entnahmefenster – wo liegt der Unterschied?

Der Schutz von Erstlaichern ist ein zentrales Element des Fischereimanagements und deshalb wird die Angelfischerei traditionell über Mindestmasse geregelt. Seit einer Weile hört man vermehrt auch von sogenannten Entnahmefenstern und in einigen Gewässern kommen sie bereits zur Anwendung. Entnahmefenster schützen neben Erstlaichern auch die besonders grossen Fische vor einer Entnahme. Doch warum kann es sinnvoll sein grosse Fische zu schützen, und wie beeinflussen Mindestmasse und Entnahmefenster die Fischbestände?

Wenn der Befischungsdruck in einem Gewässer gross ist und Erstlaicher über Mindestmasse geschützt werden, sind grössere Fische seltener als in nicht befischten Gewässern (siehe Diagramm «Grössenverteilung»). Doch genau diese grossen Fische spielen für die Rekrutierung von Jungfischen eine wichtige Rolle: Grosse Muttertiere produzieren mehr Eier als ihre jüngeren Artgenossen und packen mehr Dottervorräte in ihre Eier. Diese Reserven helfen dem Nachwuchs nach dem Schlupf die kritische erste Lebensphase zu überstehen. Oft laichen grössere Fische auch nicht an den genau gleichen Stellen und zu den genau gleichen Zeiten wie kleinere Fische. Bei vielen Fischarten tendieren die Grossen zum Beispiel zu früherem Ablaichen als die Kleinen. So verteilt sich die Laichaktivität in Gewässern mit Laichtieren in allen Grössen über eine längere Zeitspanne. Eine ausgedehnte Laichzeit kann in einer nicht vorhersehbaren Umwelt von Vorteil sein. Sie erhöht zum Beispiel die Chance, dass ein Teil der geschlüpften Brut den Dottersack genau dann aufgebraucht hat und mit der aktiven Nahrungsaufnahme beginnt, wenn die Nahrung auch reichlich vorhanden ist. Dies veranschaulicht auch, wieso in der Brutanstalt trotz dem Wert von Kapitalen für die natürliche Bestandserhaltung nicht nur gezielt mit grossen Fischen gearbeitet werden sollte. Nur wenn Elterntiere in der Brutanstalt zufällig ausgewählt werden kann die innerartliche Vielfalt, die als Absicherung gegen schwankende Umweltbedingungen so wichtig ist, erhalten werden.


Model-Entnahmefenster: Weniger entnommene Biomasse – mehr Fänge

Es gibt also gute biologische Gründe, nicht nur die ganz kleinen Fische, sondern auch die wirklich grossen Laichtiere vor einer Entnahme zu schützen. Genau dort setzen sogenannte Entnahmefenster an. Neben Mindestmassen legen Entnahmefenster auch ein Höchstmass fest und grössere Fische müssen zurückgesetzt werden.
Fischereibiologen rund um Robert Arlinghaus (IGB und Humboldt Universität Berlin) haben kürzlich mit Hilfe eines mathematischen Modells untersucht, wie sich eine Regulation der Angelfischerei via Entnahmefenster auf die Fischbestände und das Angeln auswirkt: Weil grosse Fische zurückgesetzt werden müssen, führen Entnahmefenster im Vergleich zu Mindestmassen zu einem höheren Bestand an Kapitalen Fischen im Gewässer. Mit Mindestmassen gibt es zwar weniger grosse Fische, dafür dürfen diese nach dem Fang entnommen werden. Der Ertrag, gemessen als Gesamtgewicht der entnommenen Fische, ist deshalb mit einem Mindestmass höher. Mit Entnahmefenstern erhöht sich dagegen die Anzahl Fische, die entnommen werden kann. Da die grossen Fische zurückgesetzt werden, sind immer genügend Laichtiere vorhanden, um für Nachwuchs zu sorgen. In der Theorie maximiert ein Mindestmass also das Gewicht des Gesamtfangs, während ein Entnahmefenster die Anzahl entnommener Fische maximiert. Diese Resultate gelten laut Modell für alle untersuchten Fischarten, unabhängig von deren Biologie (untersucht wurden unter anderem Hecht, Egli, Forelle und Zander).
Entnahmefenster reduzieren vermutlich auch die Gefahr von ungewollten evolutionären Veränderungen. Werden nämlich über längere Zeit die schneller wachsenden (und grossen) Fische stets etwas häufiger entnommen als ihre langsamer wachsenden Artgenossen, fördert die Fischerei langsameres Wachstum oder früheres Erreichen der Geschlechtsreife. Dieses Phänomen ist weit verbreitet und wird im Fachjargon als fisheries-induced-evolution bezeichnet. Werden auch die grossen Fische vor einer Entnahme geschützt, dürfte dieser Effekt etwas abgeschwächt werden, weil die Entnahme insgesamt weniger selektiv wird. Dadurch wird den Fischen möglicherweise auch eine Anpassung an die natürlich herrschenden Selektionsdrücke erleichtert. 


Fischereidruck, Hakenmortalität, Tierschutz

Im Modell wurde ersichtlich, dass sich Entnahmefenster bei grossem Fischereidruck besonders gut bewähren. Wird der Fischereidruck und mit ihm die Entnahme von Fischen aber allzu gross, werden mit der Zeit unabhängig von Entnahmefenster oder Mindestmass weniger Fische gefangen, als ein Gewässer eigentlich produzieren könnte. Die Autoren der Studie empfehlen in solchen Fällen zusätzliche Schutzvorschriften wie striktere Fangzahlbeschränkungen oder mehr Fischereischongebiete einzuführen. Dies nicht um die Fischerei zu schwächen, sondern damit das Gewässer mittelfristig mehr hergibt und das Angeln wieder ergiebiger wird.
Weiter zeigte das Modell, dass sowohl Entnahmefenster als auch Mindestmasse ihre Ziele (Schutz von Laichtieren) nur bedingt erreichen, wenn die Sterblichkeit von zurückgesetzten Fischen gross ist. Die Erfolgsaussichten von Entnahmefenstern sind also nicht für alle Fischereitechniken gleich gut.  
Damit Entnahmefenster nicht fälschlicherweise als Catch & Release-Fischerei interpretiert werden und in Konflikt mit dem Tierschutzgesetz geraten, ist ein offener Dialog zwischen Fischerei und Tierschutz wichtig. Wir Fischer können unseren Beitrag leisten, indem wir uns immer an die Richtlinien über einen schonenden Umgang mit den Fischen halten, die in der «Vollzugshilfe Angelfischerei» des Bundes zusammengefasst sind (siehe «Petri-Heil» 2/2015).   


Vom Modell in die Praxis

Ein Mindestmass sollte immer so gewählt werden, dass alle Fische mindestens einmal ablaichen können. Die Geschlechtsreife wird nicht in allen Gewässern bei gleicher Grösse erreicht: Eine Forelle in der Berner Aare wird erst mit über 30 cm laichreif, während sie in einem Bergbach die Reife schon mit einer Länge unter 20 cm erreichen kann. Wie beim Festlegen des Mindestmasses gibt es auch für das Höchstmass keine allgemeingültige Zahl, die für eine Art ganz unabhängig des Gewässers angewandt werden kann. Als Daumenregel wird bei moderatem Fischereidruck ein Höchstmass von zwei Drittel der maximal im Gewässer erreichten Grösse eines Fischs empfohlen. Ist der Fischereidruck hoch, empfiehlt es sich, das Höchstmass bei der Hälfte der im Gewässer erreichten Maximalgrösse anzusetzen (siehe Tabelle «Mögliche Entnahmemasse»).
In der Schweiz wird die Fischerei erst an wenigen Gewässern über Entnahmefenster reguliert und die Erfahrung, für welche Arten und unter welchen fischereilichen und biologischen Bedingungen Entnahmefenster sich in der Praxis tatsächlich bewähren, fehlt noch weitgehend. Gewässer, an denen Entnahmefenster neu eingeführt werden, bieten uns die Chance solche Erfahrungen zu sammeln. Sie sollten deshalb als wissenschaftliche Experimente angesehen werden und mit regelmässigen Bestandserhebungen und Anglerbefragungen begleitet werden.

Dieser Artikel basiert auf einer Studie von Daniel Gwinn, Robert Arlinghaus und Kollegen, die in der Fachzeitschrift «Fish and Fisheries» erschienen ist.

 

1 Kommentare


D

11 | 05 | 2021

Super Bericht! Da mir die Fischerei sehr am Herzen liegt habe ich mir schon Schonfenster gemacht. Ich entnehme kleinere und fast mittelgrosse Eglis und Hechte, die mittleren und grossen Exemplare dürfen ihre Gene weitergeben und für ordentlich Nachwuchs sorgen. Ich hoffe dass die Kantone bald Schonfenster einführen für eine noch nachhaltigere Fischerei.


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