31 | 05 | 2024 | Schweiz | 0 | 3505 |
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Tiefe Gumpen bitte!
Niederwasser und Prädatoren bestimmen die aktuelle Situation an vielen voralpinen Fliessgewässern. Nils Anderson hat einen Augenschein im Emmental genommen und sich mit Andreas Lerch getroffen, dem Vorkämpfer für Gumpen.
Es ist ein sonniger, windiger Frühlingstag, an dem Andreas Lerch mich an einem seiner Pachtbäche, die seit Jahrzehnten in Familienbesitz sind, empfängt. Der pensionierte Sägereimeister aus Grünenmatt hat ein noch immer jugendliches, freundliches Gesicht und drückt mir zur Begrüssung eine Tipprute aus den 1960er-Jahren in die Hand und erklärt mir anschliessend, wie ich den Wurm aufzufädeln habe. Meine Fliegenrute bringen wir zurück ins Auto. «Meine Forellen haben lieber Würmer als Kunstköder», meint er. Aus früherem Austausch weiss ich, der Mann ist auf einer Mission, er versteht sich als Kämpfer für die Bachforellen im Emmental.
Doch zuerst einmal geht es ihm einfach ums Fischen. Er zeigt mir Stelle um Stelle, wir fischen und fangen unsere Forellen, teils schöne Fische um die 30 Zentimeter. Und beim Fischen im schönsten Sonnenschein vergessen wir völlig die Zeit und kommen schliesslich einiges zu spät zum Mittagessen in seinem Haus in Grünenmatt.
Vorbild Heinz Kneubühler
Dort stapeln sich die Ordner mit Unterlagen zur Fischerei. Fangberichte und Fangfotos zeugen von – verglichen mit der Restschweiz – noch immer produktiven Gewässern, und dies, obwohl die Stapel mit dokumentierten Problemen mindestens so gross sind wie diejenigen der Fangberichte. Immer wieder kommen wir auf seine Herzensangelegenheit zu sprechen, die eigentlich ganz simpel ist: «Unsere Fliessgewässer brauchen Längs- und Querverbauungen aus Holz!»
Für diese Schwellen hat er immer wieder Einsprachen gemacht, ist beim Bafu und beim Kanton unzählige Male vorstellig geworden. Er ist ein Einzelkämpfer, dem es oft genug auch am diplomatischen Geschick mangelt, «ä stuure Ämmitaler Gring haut». Und in seinem Kampf für «seine» Forellen hadert er immer wieder auch mit sich selbst und fragt sich, ob sich der ganze Aufwand lohnt angesichts der dramatischen Veränderungen, die die letzten paar Jahre mit sich gebracht haben. In seinen Plädoyers für die Holzverbauungen bezieht sich Lerch immer wieder auf die Dokumentationen und das umfassende Wissen von Heinz Kneubühler, welcher die Bewirtschaftung und die Fangerträge der Emmentaler Gewässer akribisch dokumentierte und für Jahrzehnte mitverantwortlich für einen bemerkenswerten Fangertrag war.
Neue Bedingungen an den Gewässern
Was sich in den letzten Jahren, insbesondere seit 2015, hier stark akzentuiert hat, sind vor allem zwei Faktoren. Zum einen sind das die immer trockeneren und heisseren Sommer, die teils monatelanges Niedrigwasser verursachen. Die Forellen kämpfen in dieser Zeit im warmen und verringerten Lebensraum ums Überleben, werden geschwächt und damit anfälliger für weitere Belastungen. Dazu zählt auch der zweite Punkt: häufiger auftretende fischfressende Vögel, in diesem Fall die Gänsesäger. Dieser steht nun mal unter Schutz und man muss sich notgedrungen mit ihm arrangieren. Dessen Einfluss kann man nur minimieren, indem für Versteckmöglichkeiten und nochmals Versteckmöglichkeiten gesorgt wird. Für Lerch ist es eindeutig, dass zahlreiche Unterstände geschaffen werden müssen: idealerweise Längs- und Querverbauungen aus Holz mit vielen Unterschlüpfen. Wo Verstecke und Rückzugsorte fehlen, können die Bachforellen unter heutigen Bedingungen nicht mehr leben.
Verschlimmbesserungen
Damit kommt man zum Problem der gut gemeinten, aber oft kontraproduktiven Renaturierungen. Gemäss in vielen Köpfen verankerten Vorstellungen eines zeitgemässen Wasserbaus soll ein «naturnahes Gewässer» möglichst keine menschlichen Strukturen mehr enthalten. Also auch keine Quer- oder Längsschwellen aus Holz. Hinter dieser Auffassung stehen auch Überlegungen zugunsten der Fische. Stichwort freie Fischwanderung für alle Arten. Auch weniger mobile Arten wie Groppen und Schmerlen sollen sich möglichst barrierefrei im ganzen Gewässer bewegen können. Wobei davon ausgegangen werden kann, dass auch diese Arten kleine Schwellen überwinden können und ebenso wie die Forellen von tiefen Gumpen und Nischen profitieren. Eine freie Fischwanderung für alle Arten bringt auch nichts mehr, wenn das Gewässer deren Bedürfnisse nach Schutz und ausreichend Sauerstoff nicht mehr erfüllt. Und genau das nimmt man den Lebensräumen, wenn stur und ohne situative Abwägungen Schwellen abgebaut und Gewässer «renaturiert» werden: Tiefe Stellen mit kühlerem Wasser, Sauerstoffeintrag durch die Abstürze, zahlreiche Versteckmöglichkeiten und ganz schlicht Wasservolumen, wenn das blaue Element nur noch in geringen Mengen fliesst. Unter heutigen Bedingungen wirkt sich das fatal aus.
Fehlende Kiesentnahme an der Urnäsch
Eine ähnlich gelagerte Problematik findet sich im Appenzell. Das Verbot der Kiesentnahme hat zu einer zusätzlichen Monotonisierung und Erwärmung geführt, wie die Urnäscher Fischer aufzeigen. Seit das Kies liegenbleibt, beklagen die Appenzeller Fischer einen bemerkenswerten Rückgang ihrer Fischbestände und eine fortschreitende Erwärmung der Urnäsch. An sechs Stellen wurden dem Fluss jahrelang grosse Mengen Kies entnommen, wodurch tiefe Gumpen entstanden sind, die den Fischen bei Niedrigwasser Rückzugsmöglichkeiten und kühles Wasser geboten haben. Diese Stellen haben sich nun mit Kies aufgefüllt und wirken im Sommer wie Durchlauferhitzer, indem das spärlich fliessende Wasser noch zusätzlich aufgewärmt wird.
Walter Nef vom Fischereiverein Obere Urnäsch hält fest: «Es ist zwecklos, auf Kiesentnahmen zu verzichten, wenn der Kies in bestehenden Stauungen liegen bleibt. Der liegenbleibende Kies fehlt in den Unterläufen weiterhin, verschlechtert aber die Lebenssituation enorm. Anstatt kühle ‹Gompen› sind durch Kies sickernde Rinnsale mit wassererwärmenden Nebeneffekten entstanden. Wir sollten alle Talsperren so schnell wie möglich mit Kiesklappen versehen. Diese müssten sich bei Hochwasser, aufeinander abgestimmt, öffnen und danach wieder schliessen. So wäre die Geschiebeweitergabe an die Unterläufe sichergestellt und die Rückzugsorte für unsere Fische wären wieder vorhanden.»
Studien ja, aber auch Verbesserungen realisieren
Die Fischer an der Urnäsch haben grundsätzlich nichts gegen die angekündigten weiteren wissenschaftlichen Studien am Gewässer. Jede Erkenntnis kann weiterhelfen. Doch auch das Fischerwissen sollte einbezogen und ernst genommen werden. Unzählige Stunden am Gewässer schärfen das Auge für Veränderungen und deren Folgen. Walter Nef bittet die zuständigen Stellen, mit den Patenteinnahmen nebst den teuren Studien auch konkrete Massnahmen am Gewässer zu finanzieren. Die Studien mögen zwar das Wissen erhöhen und die Karriere junger Talente weiterbringen, bringen aber für sich allein keinerlei Verbesserung für die Fische. Er appelliert an die zuständigen Stellen, sofort umsetzbare und sinnvolle Massnahmen wie die Geschiebeklappen unbesehen von weiteren Studien so schnell wie möglich anzugehen.
Nun scheint Bewegung in die Sache zu kommen. Die Gewässer müssen für die Sommer der Zukunft gestaltet werden und Gumpen sind dafür das Mittel der Wahl. Dass ein Gewässer ohne Gumpen unter den aktuellen Begebenheiten kontraproduktiv ist, hat auch der SFV erkannt: Der Schweizerische Fischerei-Verband hat dieses Thema nun auch auf dem Schirm. Es wurde bereits an mehreren Veranstaltungen thematisiert und der Verband ist daran, zusammen mit Partnern ein thematisches Papier dazu zu erarbeiten.
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