Der Bodensee im Wandel
04 | 09 | 2015 Schweiz 07933
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Der Bodensee im Wandel

Wie reagieren die Fischbestände auf den Nährstoffrückgang im Bodensee-Obersee?

Immer wieder wurde in den letzten Jahren in den Medien über die Fischbestände im Bodensee diskutiert. Der fischereiliche Ertrag des Bodensee-Obersees ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Die Statistik des Ertrags der Berufsfischerei, die seit 1910 geführt wird, zeigt, dass die Erträge jetzt wieder denjenigen vor Beginn der gestiegenen Nährstoffgehalte entsprechen.

Ursprünglich war der Bodensee-Obersee ein nährstoffarmer (oligotropher) See. In den letzten 100 Jahren hat sich am und im Bodensee sehr viel geändert. Dies betrifft unter anderem die Besiedlung und Bewirtschaftung des Einzugsgebiets, den Eintrag von Nährstoffen in den See und die Lebewelt des Sees. Heute ist der Bodensee Trinkwasserspeicher für mehr als 4,5 Millionen Menschen und jährlich Ziel von Millionen Feriengästen. Durch intensive Anstrengungen zur Verringerung des Nährstoffeintrags in den letzten 40 Jahren ist der See heute wieder nährstoffarm. 

Die Reaktion der Fischbestände auf die Nährstoffdynamik lässt sich in zwei Themenblöcke einteilen: Ertrag der Fischerei und Änderungen in der Biologie der einzelnen Fischarten. Angesichts der Vielzahl der Fischarten und der Komplexität des Systems werden hier nur einzelne ausgewählte Beispiele vorgestellt.   


Die Fischarten des Bodensees

Im Bodensee kommen ungefähr 36 Fischarten vor. Diese Zahl ist im Vergleich zu früher nicht gesunken: Von den Ende des 19. Jahrhunderts nachgewiesenen Arten sind aktuell mit Ausnahme des Kilchs – einer Tiefenform des Felchens – noch alle vorhanden. Darüber hinaus findet man heute auch neue Arten: Zander, Regenbogenforelle, Stichling, Kaulbarsch und Sonnenbarsch. Nur der Zander und begrenzt die Regenbogenforelle haben eine wirtschaftliche Bedeutung. Zander und Regenbogenforelle wurden zu Anfang des 20. Jahrhunderts gezielt in den Bodensee eingesetzt. Wie die anderen drei Arten in den See gelangten, ist nicht bekannt. 


Der Ertrag der Berufsfischerei

Gesamtertrag der Berufsfischerei des Bodensee-Obersees im Zusammenhang mit dem Phosphor-Gehalt.
Die Fischbestände des Bodensee-Obersees werden von aktuell etwa 120 Berufsfischern und mehr als 10  000 Angelfischern genutzt. Eine Statistik der Erträge der Berufsfischerei gibt es seit dem Jahr 1910, ein regelmässiges Monitoring der Felchen seit den 1950er-Jahren. Der Gesamtertrag der Berufsfischerei lässt sich in drei Perioden einteilen: 1910 bis 1955, 1956 bis 2005 und 2006 bis heute (Abb. 1). Im ersten Zeitraum war der Ertrag vergleichsweise niedrig und lag meist unter 600  Tonnen pro Jahr. Mit Beginn der Eutrophierung (Überdüngung) des Bodensees überstieg der fischereiliche Ertrag 1956 erstmals den Wert von 1000 Tonnen und bis 2005 wurden nahezu jedes Jahr mehr als 800 Tonnen Fisch gefangen. Ab Mitte der 1990er-Jahre ist ein deutlicher Rückgang der Fänge sichtbar. 2006 und 2007 wurden erstmals seit 1955 nur noch ungefähr 600  Tonnen Fisch gefangen. Der anschliessende leichte Anstieg des Ertrags war nur von kurzer Dauer, und 2012 und 2013 wurden mit einem Gesamtfang von 554 beziehungsweise 465 Tonnen die niedrigsten Erträge seit 1954 erzielt. Diese Werte sind mit jenen vor Beginn der Eutrophierung vergleichbar.


Felchen (Coregonus lavaretus)

Felchen- und Egliertrag der Berufsfischerei im Bodensee-Obersee.
In der Zeit der höchsten Nährstoffgehalte schwankte der Felchenertrag sehr stark (Abb. 2). Der hohe Ertrag, der Anfang der 1990er-Jahre erreicht wurde, nahm seither kontinuierlich ab. 2013 wurden nur noch 296 Tonnen Felchen gefangen. Das ist noch rund ein Drittel des Fangs Mitte der 1990er-Jahre. Der Felchenertrag liegt damit wieder auf dem niedrigen Niveau zu Beginn der 1950er-Jahre.

Der Felchenbestand wird seit Anfang der 1950er-Jahre regelmässig untersucht. Die Alterszusammensetzung der von den Berufsfischern gefangenen Felchen hat sich in dieser Zeit stark verändert. In der Hochphase der Eutrophierung in den 1970er- und 1980er-Jahren waren die Felchen im Fang durchschnittlich zwei Jahre alt. Heute sind Felchen mit einer Länge von 30 Zentimetern und 300 Gramm Gewicht meist 3 bis 5 Jahre alt. Damit entspricht die Alterszusammensetzung der Felchen im Fang wieder der eines nährstoffarmen Sees. 


Egli (Perca fluviatilis)

Der Egli ist nach den Felchen die zweitwichtigste Fischart der Berufsfischer. Sein Ertrag ging schon in den 1990er-Jahren stark zurück und bewegt sich aktuell nur noch im Bereich von 50 bis 100  Tonnen jährlich. Nach einer Jugendphase, in der sie Zooplankton fressen, leben Egli normalerweise räuberisch. Im eutrophen, nährstoffreichen Bodensee waren die Egli im gesamten See zu finden und frassen fast ausschliesslich Zooplankton. Dies hat sich mittlerweile völlig geändert. Egli sind fast nur noch in Ufernähe oder auf der Halde zu finden. Sie haben in den letzten Jahren auch ihre Nahrung wieder umgestellt. Ab einer Grösse von ungefähr 14 Zentimetern besteht diese fast nur noch aus Fischen. Gleichzeitig ist das Wachstum deutlich verlangsamt. Sie erreichen jetzt erst im Alter von drei bis fünf Jahren die Fanggrösse von rund 20 Zentimetern. Zu Zeiten hohen Nährstoffgehalts dauerte dies nur zwei bis drei Jahre.    


Seesaibling (Salvelinus alpinus)

Seesaiblinge profitieren vom sauber werdenden Wasser des Bodensee-Obersees.
Der Seesaibling ist ein Bewohner kühler, nährstoffarmer Seen der gesamten Nordhalbkugel. In Mitteleuropa sind dies die tiefen Voralpen- und Alpenseen wie zum Beispiel der Bodensee-Obersee. Bis in die 1960er-Jahre wurden im Bodensee-Obersee jährlich höchstens zwei Tonnen Seesaiblinge gefangen, meist waren es deutlich weniger. In den 1970er-Jahren ging der Ertrag drastisch zurück. 1977 wurden nur noch 31 Kilogramm gefangen, so dass die Gefahr bestand, dass der Seesaibling völlig aus dem See verschwinden würde. Mit beginnendem Nährstoffrückgang und durch Besatzmassnahmen zur Bestandserhaltung erholte sich die Population in den 1980er-Jahren, und im Jahr 2001 wurde erstmals seit Bestehen der Statistik der Wert von drei Tonnen überschritten. Seither steigt der Ertrag nahezu jährlich. Im Jahr 2013 wurde mit etwas mehr als 16 Tonnen der bei weitem höchste Seesaiblingsertrag seit Beginn der statistischen Erhebungen erzielt. 


Wie sind die Ergebnisse zu deuten?

Die Reaktionen der Fischbestände des Bodensee-Obersees auf den Nährstoffrückgang sind vielgestaltig. Dies betrifft sowohl den fischereilichen Ertrag als auch die Lebensweise der einzelnen Arten. Es würde jedoch zu kurz greifen, nur die Phase des Rückgangs des Nährstoffgehalts zu betrachten. Glücklicherweise liegen für den Bodensee lange Datenreihen vor, die für die Auswertung genutzt werden können.

Viele Reaktionen von einzelnen Kompartimenten des Nahrungsnetzes im Bodensee verlaufen nicht parallel zum Nährstoffrückgang, sondern zeitlich versetzt oder verzögert oder sind teilweise von anderen Einflüssen überlagert. Ein Beispiel hierfür ist der Hitzesommer 2003: Bedingt durch das extrem warme Wetter waren die Lebensbedingungen zum Beispiel für die Egli so gut, dass deren Wachstum und Ertrag entgegen aller Annahmen sehr gut und viel höher als in den Jahren davor und danach war. 

Der Verlauf des Felchenertrags hat einen zeitlichen Versatz von fünf bis zehn Jahren zum Rückgang des Nährstoffgehalts, während der Ertrag der Egli schon ungefähr zehn Jahre früher stark zurückging.

Der Fischertrag ist aber nur ein Aspekt, denn die einzelnen Fischarten reagieren auch in ihrer Lebensweise auf Veränderungen im Nährstoffgehalt. So können Felchen heute teilweise auch wieder im Uferbereich gefangen werden, und im offenen See hat sich ihre Hauptaufenthaltstiefe deutlich geändert: Felchen werden derzeit von den Berufsfischern in deutlich grösserer Tiefe gefangen als noch vor wenigen Jahren. 

Die Reaktionen der Fischbestände auf Nährstoffrückgang sind nicht nur im Bodensee, sondern auch in vielen anderen Seen dokumentiert. Es zeigte sich, dass der fischereiliche Ertrag der untersuchten Seen dann deutlich zurückging, wenn die Phosphor-Konzentration den Wert von zehn Milligramm Phosphor pro Kubikmeter Wasser unterschritt. Veränderungen in der Biologie und der Lebensweise einzelner Fischarten traten jedoch schon weit früher auf.    

Dr. Roland Rösch (Biologe) ist stellvertretender Leiter der Fischereiforschungsstelle des Landes Baden-Württemberg (LAZBW). Seine Arbeitsschwerpunkte sind Aquakultur und das fischereiliche Management des Bodensees.
Es wird immer wieder berichtet, dass bei der Eutrophierung eines Sees Arten verschwinden, die dann auch bei einem nachfolgenden Nährstoffrückgang (Re-Oligotrophierung) nicht mehr vorhanden sind. Im Bodensee ist zwar eine Tiefenform der Felchen, der Kilch, verschwunden, alle anderen früher dokumentierten Arten sind jedoch aktuell noch vorhanden. Im Vierwaldstätter See ist sogar eine während der Eutrophierung verschwundene Felchenform – der «Edelfisch» – nach dem Nährstoffrückgang  wieder festgestellt worden.

Der Fischbestand des Bodensee-Obersees ist heute wieder zu weiten Teilen mit dem Fischbestand von vor Beginn der Nährstoffzunahme vergleichbar. Dies betrifft sowohl den fischereilichen Ertrag wie auch das Wachstum der Felchen. Für viele Arten liegen jedoch aus der Zeit vor der Eutrophierung keine Untersuchungen vor, so dass hier keine fundierten Aussagen gemacht werden können. 

Dank der bis ins Jahr 1910 zurückreichenden Fangstatistik für den Bodensee-Obersee und Studien an anderen reoligotrophierten Seen kann vorsichtig prognostiziert werden, wie der Ertrag im Bodensee-Obersee in der Zukunft aussehen könnte. Demnach ist davon auszugehen, dass der fischereiliche Gesamtertrag auf dem niedrigen Niveau der letzten Jahre bleiben wird. Felchen werden weiterhin einen Anteil von etwa 75 Prozent am Gesamtertrag haben, wobei wie auch in den Jahren vor der Eutrophierung mit teils deutlichen Ertragsschwankungen zu rechnen ist.


Aktionsplan für einen lebendigen, naturnahen Bodensee

Aus verschiedenen Beiträgen von Expertinnen und Experten, sowie den Massnahmenprogrammen der internationalen Kommissionen hat die Umweltplattform «Lebendiger Alpenrhein» einen Aktionsplan mit Massnahmen und konkreten Umsetzungszielen für die nächsten zehn Jahre erstellt. Der Erfolg bei der Umsetzung der Massnahmen soll 2025 überprüft werden.

1. Natürliche Seeufer zurückgewinnen
Intensive Ufernutzung und die zwischenzeitlich starke Eutrophierung haben die typischen und einzigartigen Ufer- und Flachwasservegetationstypen stark dezimiert. Die totale Uferlänge beträgt 273 Kilometer, die Hälfte ist hart verbaut oder erheblich verändert. Die Verzahnung der Wasser-Land-Kompartimente ist dadurch stark gestört.

2. Schutzgebiete ausweiten
Die starke Nutzung der Ufergebiete erzeugt Druck auf seltene Arten. Nutzungseinschränkungen vom Land und vom Wasser her sowie die Vernetzung der Schutzgebiete werten die Flächen ökologisch auf. Optimale ökologische Verhältnisse sind jedoch nur in Uferabschnitten zu erwarten, die frei von Nutzungen und Störungen bleiben und mit ebensolchen Hinterlandbereichen vernetzt sind.

3. Selbsterhaltende, natürliche Fischpopulationen, keine weiteren Neozoen
Im Bodensee leben 36 heimische Arten, sowie rund fünf Neozoen. Die Naturverlaichung aller heimischen Arten, insbesondere der Seeforelle als Flaggschiffart, muss gewährleistet sein. Die Einschleppung weiterer Fischarten muss verhindert werden.

4. Zuflüsse gezielt revitalisieren und erschliessen für Wanderfische
Durch Entwässerungen von Auen, Verbauungen und die Wasserkraftnutzungen sind in den Zuflüssen starke Beeinträchtigungen der natürlichen Verhältnisse, der Durchwanderbarkeit und der Laichgebiete entstanden. Es braucht eine Modernisierung der bestehenden Anlagen mit funktionierenden Auf- und Abstiegshilfen bei Querbauten. Das Geschiebemanagement muss saniert werden und die Sunk-Schwall-Amplitude verkleinert werden. Restwasserstrecken müssen wieder eine naturnahe Jahresganglinie aufweisen und für die Wanderfische wie die Seeforellen durchgängig sein. Um in allen Zuflüssen bessere Lebensraumbedingungen zu schaffen, müssen sie renaturiert werden, ausgehend vom Mündungsbereich zum Oberlauf.

5. Rheindelta aufwerten
Deltas sind normalerweise Hotspots der Biodiversität. Die fast fünf Kilometer lange Vorstreckung des Alpenrheins verhindert den optimalen Austausch zwischen dem Fluss und dem See. Dieser ökologisch wichtige Bereich soll aufgewertet werden.

6. Wiederansiedelung seltener Pflanzenarten sowie Bekämpfung von bestehenden und neuen Neophyten
Wegen der starken Bautätigkeit und Freizeitnutzung im Uferbereich sowie der Eutrophierung in den 1970er-Jahren sind zahlreiche Arten der Ufer- und Flachwasservegetation verschwunden. Ebenso dürfte die Verlagerung der Abflüsse durch die rund 50 Speicherseen im Alpenrhein-Einzugsgebiet vom Sommer in den Winter die Trockenperioden während der Vegetationszeit verstärkt haben. Mit einem simultanen Monitoring von Wasserstand und Temperatur in den Stauseen und der Temperatur und Fläche in den Naturschutzgebieten am Bodensee lies­sen sich Grundlagen gewinnen, um das Management der Speicherseen zu korrigieren.

7. Mikroverunreinigungen, Keime und Nanopartikel eliminieren
Giftige Stoffe und Abbauprodukte sowie Keime aus dem Abwasser und der Landwirtschaft verschmutzen zunehmend das Wasser. Auch Nanopartikel aus der Industrie stellen zunehmend ein Gefahrenpotenzial dar. Sie müssen eliminiert werden, um die Wasserqualität für die Trinkwasserversorgung und für die aquatischen Lebewesen sicherzustellen.

8. Wärme- oder Kühlungsnutzung koordiniert durchführen
Die Wärmenutzung ist bereits heute gemäss IGKB-Richtlinie mit Auflagen erlaubt. Dabei darf es keine stofflichen Veränderungen des Wassers geben. Bei einem allfälligen Ausbau braucht es mehr Koordination, damit die thermischen Verhältnisse keine negativen Auswirkungen auf die Vollzirkulation, die Zusammensetzung des Phyto- und Zooplanktons, die Verteilung der Fische im See oder die wärmeempfindlichen Salmoniden im Hochrhein haben.

9. Fracking im Bodenseeeinzugsgebiet verbieten
Die Chemikalien, welche bei der Frackingmethode zur Gewinnung von Gas und Öl eingesetzt werden, bergen Gefahren für unter- und oberirdische Gewässer. Zudem besteht bei Bohrungen die Gefahr, dass Grundwasserstockwerke dauerhaft miteinander verbunden werden oder dauerhafte und unerwünschte Wasseraustritte entstehen.
10. Natürlichen Seeausfluss belassen
Die natürlichen Abflussverhältnisse schaffen typische, dynamische Lebensräume mit seltenen und artenreichen Gesellschaften.
 

Die Gewässerschutzorganisation Aqua Viva setzt sich landesweit für einen umfassenden Schutz und die Aufwertung von Gewässern, Gewässerlandschaften, Auen, Feuchtgebieten und Moorlandschaften ein. Die Zeitschrift aqua viva erscheint fünfmal jährlich. Weitere Informationen unter www.aquaviva.ch.

 

 Gesamtertrag der Berufsfischerei des Bodensee-Obersees im Zusammenhang mit dem Phosphor-Gehalt.

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 Felchen- und Egliertrag der Berufsfischerei im Bodensee-Obersee.

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 Seesaiblinge profitieren vom sauber werdenden Wasser des Bodensee-Obersees.

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