14 | 10 | 2019 | Schweiz | 0 | 9880 |
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Der Inn – Ein Fluss mit vielen Gesichtern
517 Kilometer sind es von der Quelle am Piz Lunghin bis hin zum mächtigen Strom, der sich in Passau mit der Donau vereinigt. Dem Hochgebirge entsprungen, wird er schon bald gezähmt und auf seiner ganzen Länge genutzt. Trotzdem hat dieser Fluss einen besonderen Charme und zieht uns in seinen Bann. Der langjährige Inn-Kenner Hans «Housi» Schwab berichtet uns in zwei Teilen von seinem Lieblingsfluss.
Vor gut 40 Jahren berichtete Housi als Jungfischer im Engadin im damaligen Magazin «Fischerei» (Vorgänger des «Petri-Heil», Anm. d. Red.) von seinen Erlebnissen am Wasser. Diese «Jugendliebe» hat sich erhalten, ja verstärkt. Auch im 2019 weiss er von vielen Erlebnissen am Wasser zu berichten. Dazu gehören Sternstunden, wie man sie hierzulande kaum noch kennt, aber auch Schneidertage. Missen möchte Housi keinen dieser Momente. Den Lauf des Inns hat er zu Fuss und per Velo vom Piz Lunghin bis zur Einmündung in die Donau erkundet. Gerne nimmt er uns Leser mit auf die Reise eines Wassertropfens im Inn.
Wo die Reise beginnt
An einem bestimmten Punkt hoch oben am Piz Lunghin oberhalb von Maloja, trifft ein schwerer Regentropfen auf eine Felsspitze, wo er in drei kleinere Tropfen zerspritzt. Einer landet in der Mera und fliesst ins Mittelmeer; der zweite gelangt in den Septimerbach und wird die Nordsee erreichen und der dritte nimmt schliesslich den Weg nach Osten, wo er sich im Schwarzen Meer verlieren wird. Hier am europäischen Hauptwasserscheidepunkt kann man sich kaum vorstellen, auf welch unterschiedliche Landschaften diese drei Tropfen treffen werden und welche Vielfalt an Pflanzen und Tieren ihnen begegnen wird.
Von Anfang an Fische
Als erstes trifft unser Tropfen auf ein «Bammeli» (Elritze) beim Einlauf in den Lunghinsee. Ein Cyprinide auf 2484?m ü. M.? Ja tatsächlich – diese Kleinfische faszinieren durch ihre Anpassungsfähigkeit. Aber sie sind nicht selbst die Kaskaden hochgestiegen. Vielmehr waren es Fischer, die sie dort eingesetzt haben. Und an der Einlaufhalde stehen Kanadische Seesaiblinge (Namaycush), die nach den Bammeli jagen. Auch die «Namays» wurden zur Bereicherung der Fischerei eingesetzt und halten sich hier inzwischen durch Naturverlaichung. Fischer mit guter Fitness werden diesen See geniessen, ob mit oder ohne Fisch. Nicht selten tummelt sich eine ganze Steinbockherde in der steilen Felswand über dem See und macht an einem Schneidertag den ausgebliebenen Fisch mehr als wett.
«Echte Einheimische»?
In schäumenden Fällen stürzt sich danach der junge Bach nach Maloja hinunter und wird dort in einen Kanal gezwängt, der in den Silsersee mündet. Hier trifft unser Tropfen auf die erste «echte Einheimische»: Die donaustämmige Bachforelle. Obwohl vor rund 100 Jahren Forellen bedenkenlos über die Gewässerscheiden hinweg ausgetauscht und besetzt wurden, lassen sich die vorkommenden Forellenarten anhand von Genanalysen noch bis heute unterscheiden und haben teilweise ihre Eigenarten erhalten. Seit einiger Zeit ist dieser Kanal auch der Laichplatz grosser Äschen. Deren Laichgeschäft kann bis in den Juni hinein beobachtet werden. Denn auch die Äsche hat sich in den Oberengadiner Seen etabliert. Sie pflanzt sich hier eigenständig fort und wird inzwischen auch als «Einheimische» angesehen. Der Inn, der die Oberengadiner Seenkette durchfliesst, heisst zu Beginn bis St. Moritz noch «Sela». Schliesslich durchfliesst er italienisches und vor allem romanisches Sprachgebiet.
Erweiterte Fauna
Die Oberengadiner Seen sind durch menschliches Zutun der Lebensraum von etlichen ursprünglich nicht vorkommenden Fischarten geworden: Seesaiblinge, Namaycush, Elritzen, Schwarzfedern, Bartgrundeln und sogar Strömer leben jetzt hier. Neben verschiedenen Forellenarten wurde auch mit Schleien und Felchen experimentiert, die sich jedoch nicht halten konnten. Die Fischartengemeinschaft scheint sich in den letzten zehn Jahren besonders stark zu verändern und wurde im «Projet Lac» der EAWAG eingehend untersucht. Derzeit fällt hier besonders der starke Rückgang der Seesaiblinge auf.
Schattenseiten des Wintertourismus
Im 19. Jahrhundert begann im Oberengadin ein gewaltiger touristischer und wirtschaftlicher Aufschwung. Nicht zufällig brannte die allererste elektrische Glühbirne der Schweiz in einem St. Moritzer Hotel. Hier wurde auch das erste kleine Wasserkraftwerk in Betrieb genommen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Pläne geschmiedet, den Silsersee höher aufzustauen. Weitsichtige Zeitgenossen kämpften gegen diese Pläne, und seit 1944 setzt sich die Vereinigung «Pro Lej da Segl» für die Erhaltung dieser einmaligen Seen-Fluss-Landschaft ein. Dennoch werden die Engadiner Seen und der Inn inzwischen für die Stromerzeugung genutzt. Die Wasserpegel schwanken im Verlauf des Jahres stark und bereiten den Forellen Schwierigkeiten. Diese laichen gerne in flachen Bereichen, die zeitweise trockenfallen und durchfrieren. Um diese Verluste auszugleichen, wird im Herbst Laichfischfang betrieben, damit die betroffenen Gewässer mit Brütlingen von Wildforellen besetzt werden können. Für die erfolgreiche Fortpflanzung der Seesaiblinge und Namaycush spielen diese Schwankungen keine so grosse Rolle, da sie in tieferen Bereichen laichen. Doch nicht nur die Stromerzeugung und die damit verursachten Veränderungen im Gewässerhaushalt haben einen Einfluss. Auch die Abwasserreinigung steht vor grossen Herausforderungen, die stark schwankenden Abwassermengen zu bewältigen. Gerade während der Hochsaison im Winter führen die Gewässer natürlicherweise kaum Wasser, während in den ARAs Hochbetrieb herrscht. Das winterliche Wasser ist nicht so sauber, wie es aussieht. Auch die Schnee-Entsorgung stellt für die Gemeinden ein logistisches Problem dar, das sie zum Teil an die Gewässer delegieren. Geräumter Schnee wird vielerorts einfach direkt in die Gewässer gekippt, zum Leidwesen der Salmoniden oft unmittelbar auf Laichplätze. Den Petrijüngern blutet dabei das Herz.
Die Paradestrecke
Der Innbogen bei Celerina ist eine der fischereilich interessantesten Strecken, welche über die Schweiz hinaus bekannt ist und auch die «Paradestrecke» genannt wird. Obwohl geografisch in der Forellenregion gelegen, hat der Fluss hier eher den Charakter einer Äschenregion. Langsam bis mässig fliessend und mit feinkiesigem Untergrund windet sich der Inn hier durch Wiesenland. Das Wasser ist das ganze Jahr über klar, da es direkt aus dem St. Moritzersee fliesst. Auf dieser Fliessstrecke liegen die Laichplätze der Inn-Äschen, welche auch längere Wanderungen von den unteren Abschnitten bis hierher unternehmen. Die Laichzeit erstreckt sich bis in den Mai, weshalb etliche Äschen auch noch ab dem 1. Juni hier häufig angetroffen und befischt werden. Ein grosser Teil des Fischbestands hier sind Äschen – aber auch grosse Forellen fühlen sich in diesem Schlaraffenland wohl.
Seit 2003 wurde diese Flussebene zwecks Hochwasserschutz umgestaltet und dabei auch ökologisch aufgewertet. Der kanalisierte Zufluss Flaz wurde aus seinem Betonkorsett befreit und der alte Inn-Damm abgebaut. Inzwischen ist ein weiterer naturnaher Flussabschnitt entstanden, der sowohl für die Fische als auch für den Hochwasserschutz Verbesserungen bringt. Diesen Renaturierungsschwung nimmt man mit bis in die heutige Zeit. Weitere Grossprojekte sind bereits in Ausführung. Über die Weiterreise des Inn-Wassertropfens berichten wir im nächsten Heft.
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