[Sandro Michel:] <br/>Jeder braucht (s)eine Insel
04 | 08 | 2025 DiversesText: Bernhard Stegmayer 0764
04 | 08 | 2025 Diverses
Text: Bernhard Stegmayer 0 764

Sandro Michel:
Jeder braucht (s)eine Insel

Wie schnell sich das Leben ändern kann, erlebte der Schweizer Bobfahrer Sandro Michel am 13. Februar 2024 in der Bobbahn von Altenberg (DE). Nach einem Sturz wurde er vom zurückrutschenden Viererbob lebensbedrohlich verletzt. Das Einzige, was er nach mehreren Monaten Aufenthalt in Spitälern und Reha wieder machen konnte, war Fischen.


Verabredet bin ich mit Sandro Michel an einem Campingplatz am Ägerisee. Mit den Watstiefeln steht er bereits bis zu den Oberschenkeln im Wasser. In der Gesamterscheinung ein «Kapitaler», würde man in der Fischersprache sagen. Mit seinen 1,88 m und über 100 kg wirkt der Athlet so, als hätte er es nur auf die Grossen abgesehen. Doch die feine Spinnrute spricht auch eine andere Sprache. Ganz in der Nähe des Ufers hört man Alphornklänge. Ein idyllisches Fleckchen Schweiz, das Michel schon seit seiner Kindheit kennt.

 Sandro Michel an seinem Stammgewässer, dem Ägerisee. © Bernhard Stegmayer

Sandro Michel an seinem Stammgewässer, dem Ägerisee. © Bernhard Stegmayer


Schöne Erinnerungen

Seine Grosseltern hatten am Ägerisee einen stationären Wohnwagen, den nun seine Eltern übernommen haben. Klein Sandro war damals oft zu Besuch. Sein Grossvater war es auch, der ihn als Siebenjähriger zur Fischerei brachte. «Wir fischten vom Ufer aus mit Zäpfli auf Rotfedern und vom Boot aus auf Felchen. Mein Grossvater hatte enorm viel Geduld mit mir. Oft musste er mein Schnur-Ghetto entwirren», erinnert sich Sandro Michel. «Ganz toll fand ich als Bub, dass es nach einem Fang feine Fischknusperli gab.»

 Ein prächtiger Rehlig vom Zürichsee, gefangen am Bürkliplatz.

Ein prächtiger Rehlig vom Zürichsee, gefangen am Bürkliplatz.

Michel ist Projektingenieur und sagt von sich selbst, er sei eher ein ruhiger, zurückhaltender Typ. Sich zelebrieren sei nicht sein Ding. Auch auf Social Media postet er nur das Wichtigste. Er habe einen starken Willen, sei ehrgeizig und offen für Neues. Das erklärt vielleicht auch, dass er eine doch gut gefüllte Köderbox und einiges an Fischer-Equipment besitzt. Er relativiert und meint: «Ich bin kein Profi, werde aber, wie mein Teamkollege Michael Vogt, von Stucki Fishing unterstützt und kann so immer wieder neues Material testen.»

 Das Schweizer Bobteam Vogt und Michel holte am Weltcup in La Plagne (2024) den ersten Platz im Zweierbob.

Das Schweizer Bobteam Vogt und Michel holte am Weltcup in La Plagne (2024) den ersten Platz im Zweierbob.


Möglichst schnell runter

Im Bobsport bestritt der Schweizer Sandro Michel als Anschieber im Zweier- und Viererbob internationale Wettkämpfe. Vor seinem Unfall holte er zusammen mit Teamkollege und Pilot Michael Vogt – übrigens auch ein aktiver Fischer – diverse Podestplätze bei den Europameisterschaften (Sigulda, Altenberg), bei der WM (St. Moriz) beim Weltcup (Sieg in La Plagne) und einen 4. Platz bei den Olympischen Spielen (Peking).

Sport war für den Fricktaler (Jahrgang 1996) schon immer ein grosses Thema. Früher war er in der Leichtathletik aktiv und seit 2017 ist der Eiskanal seine Rennstrecke. Dort werden Spitzengeschwindigkeiten bis zu 150 km/h erreicht. Im März 2024 trainierte sein Team in Altenberg in der Nähe von Dresden. Die Bahn war an diesem Tag besonders schnell. Bereits am Vormittag gab es einen Unfall und auch der Schlitten des Schweizer Viererbob-Teams stürzte. Sandro Michel fiel raus und blieb dabei bewusstlos im Eiskanal liegen. Der Bob mit etwa 500 kg (210 kg Schlitten und drei Mann) rutschte im Zielauslauf unkontrolliert zurück und traf den Anschieber. Dabei wurden dessen Hüfte aufgerissen, der Oberschenkelkopf vom Hüftgelenk getrennt; er hatte 14 Rippenbrüche mit Lungenblutung und starkem Blutverlust. Diese Bilder möchte man nicht wirklich sehen. «Ich hatte viel Glück, dass die Oberschenkelarterie nicht durchtrennt war und die Rettungskräfte sofort professionell handelten. Ansonsten wäre ich wohl nicht mehr hier», resümiert Sandro Michel.

 Das Schweizer Bobteam Vogt und Michel holte am Weltcup in La Plagne (2024) den ersten Platz im Zweierbob.

Das Schweizer Bobteam Vogt und Michel holte am Weltcup in La Plagne (2024) den ersten Platz im Zweierbob.


Von 150 auf 0

Zehn Tage Intensivstation, zwei Wochen stationärer Spitalaufenthalt, vier Operationen an Hüfte und Thorax, zehn Wochen stationär in der Reha-Klinik Bellikon und Therapie bis heute. Der Unfall von Sandro Michel war eine Vollbremsung seines Lebens. In dieser Zeit hatte der Athlet viel Zeit zum Nachdenken: «Angst hatte ich vor allem vor Infektionen. Das hätte bedeuten können, dass man das Bein eventuell hätte amputieren müssen. Eine Horrorvorstellung.»

Nebst der Physiotherapie war das Fischen eine der ersten Tätigkeiten, die der damals 28-Jährige wieder ausüben konnte. Aber eine ganz wichtige, bei der er das Leben wieder spüren konnte. Mit Krücken ans Ufer und, sobald es ging, in die Wathose, um im Ägerisee zu fischen. «Einfach ein geniales Erlebnis, das Wasser und die Natur wieder so intensiv zu erleben.»

Für Sandro Michel ist das Fischen essenziell. Zur Ruhe kommen vom Alltag als Projektingenieur und vom harten Training und den anstrengenden Wettkämpfen. «Für mich ist es eine Art Therapie, eine Insel, die mir hilft, mich auf mich selbst zu konzentrieren.» Seine Freundin Sina sei immer wieder erstaunt, wie viel Geduld er beim Fischen hat. «Im Job bin ich weniger geduldig, aber beim Fischen kann ich wirklich stundenlang dasitzen – bis ich Hunger bekomme.»

 Sandro Michel ist von Natur aus ein Optimist und dankbar, dass er noch lebt.

Sandro Michel ist von Natur aus ein Optimist und dankbar, dass er noch lebt.


Hektik kontra Ruhe

Bobfahren und Fischen sind eher gegensätzlich, empfindet der Anschieber und Fischer. «Beim Bobfahren geht es immer um Highspeed, Feilschen um Hundertstelsekunden. Es gilt, Höchstleistungen zu erzielen. Fischen ist das Gegenteil – einfach beruhigend und man kann ohne Druck einfach sein.»

Eine gute Vorbereitung sei aber bei beidem nötig, wenn man erfolgreich sein will. Beim Bobfahren ist man unzählige Stunden in der Garage, beim Fischen bereitet man die Ausrüstung vor.

Hin und wieder schaffte es das Bobfahrer-Team Michel und Vogt, beide Leidenschaften zu kombinieren. So z. B. bei einem Training in Lillehammer (NO). In ihrer Freizeit gingen sie an die nahegelegenen Gewässer und landeten nach anfänglicher Flaute wunderschöne Forellen. Wenn Sandro Michel von «offen für Neues» spricht, dann betrifft das auch die Reisedestinationen. Gefischt hat er schon in Schweden, Sardinien, Azoren, Neuseeland – und in der Reuss bei Andermatt oder am Greifensee.

 Ein Hecht aus den schwedischen Schären.

Ein Hecht aus den schwedischen Schären.


Wenn möglich ohne Gadgets

Auf Elektronik verzichtet er ganz bewusst und verwendet beim Seefischen kein Echolot. «Ich will in meiner Freizeit nicht auch noch in den Bildschirm starren und ständig auf dem See umherfahren, um Fische zu suchen.» Ein Ankerseil mit Markierung reicht ihm. Und betreffend Live-Scopes bedauert er es, wenn die kapitalen Fische so abgefischt werden. Da stimmt er dem aktuell diskutierten Fangfenster zu und ist überzeugt, dass die «coole Fischer-Community», wie er sie nennt, Verantwortung zeigen wird.

 Wenn Bobfahrer zwischen den Trainingseinheiten fischen, werden bisweilen wunderschöne Forellen gelandet.

Wenn Bobfahrer zwischen den Trainingseinheiten fischen, werden bisweilen wunderschöne Forellen gelandet.


Schritt für Schritt zurück

Beim Zurückgehen bemerke ich, dass Sandro Michel noch hinkt. Im Nationalen Sportzentrum Magglingen kann er Therapie mit Training optimal verbinden. Ob er je wieder in den Profisport zurückkehren wird, ist noch offen. «Ich bin dankbar, dass ich nach gut 15 Monaten so weit bin und werde alles daransetzen, zurückzukommen», sagt er mit entschlossener Miene.

Im Sommer will er mit einem Kollegen eine Woche nach Slowenien, Holland oder Norwegen. Einfach fischen. Abschliessend sind wir uns einig und gehen davon aus, dass diese Art der Therapie seinem Heilungsverlauf einen kräftigen Schub verleihen wird. 

 

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