09 | 12 | 2022 | Schweiz | 2 | 5245 |
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Alpenrhein: Zerstörerischer Schwallbetrieb
Beim Fischbestand im Alpenrhein muss man leider von einem Restbestand reden. Dies ist das Ergebnis des fischökologischen Monitorings 2019 am Alpenrhein. Der ökologische Zustand des Alpenrheins ist miserabel. Das hat neben den direkten Auswirkungen auf die Fischfauna auch Auswirkungen auf die Insektenwelt, den Bodensee und das Alpenrheintal. Im Folgenden erfährst Du, was die Ursachen sind.
Verantwortlich für den miserablen ökologischen Zustand des Alpenrheins ist neben Verbauungen und abgeschnittenen Seitengewässern hauptsächlich der Schwallbetrieb, welcher von den Speicherseen in Graubünden verursacht wird.
Während in den 1970er-Jahren alleine im Kanton St. Gallen jährlich noch 3000 kg Fisch entnommen werden konnte, lagen die Fänge 2020 auf dem Rekordtief von 1037 Fischen auf 90 km Flussstrecke. Da der Alpenrhein mit Abstand der grösste Zufluss des Bodensees ist, hat der schlechte Zustand des Alpenrheins auch einen direkten Einfluss auf den Fischbestand des Bodensees.
Auffällig ist in dieser Statistik die vorübergehende leichte Erholung bei den Bachforellenfängen zwischen 2002 und 2013. Leider ohne Nachhaltigkeit, in den letzten Jahren sind die Bachforellenzahlen wieder auf dem Tiefpunkt.
Bodensee-Seeforelle ist abhängig vom Alpenrhein
Der Alpenrhein, aber auch Vorder- und Hinterrhein sind die wichtigsten Laichgebiete und Kinderstuben für die wandernde Bodensee-Seeforelle. Das Einzugsgebiet des Rheins macht über 55% des gesamten Bodenseeeinzugsgebiets aus, der Rhein liefert ausserdem über 60% der Zuflussmenge des Bodensees. Sobald die Schneeschmelze Mitte Juli bis August beendet ist, ziehen die Seeforellen aus dem Bodensee in die einmündenden Fliessgewässer. Eine Verbesserung des ökologischen Zustands des Alpenrheins würde somit auch dem Überleben der Bodensee-Seeforelle zugute kommen.
Hochwassersanierung und Energienutzung versus Fischbestand
Der Alpenrhein war für die Bewohner des Rheintals lange Zeit mehr Fluch als Segen. Vor 1900 wurde das Rheintal regelmässig von Hochwassern heimgesucht. Daher wurde ab 1900 der Rhein schrittweise begradigt und in das heutige Bett gelegt. Die Wasserkraftnutzung gibt es am Alpenrhein ebenfalls schon lange; die ersten Kraftwerke wurden an den Zuflüssen in den 1950er- und 1960er-Jahren gebaut. Vorder- und Hinterrhein wurden von 1962 bis 2000 durch das Kraftwerk Reichenau vom Alpenrhein abgeschnitten.
Dennoch blieb die Fischerei im Rhein bis Ende der 1980er-Jahre relativ gut. Dies begann sich dann aber drastisch zu ändern, die Fangzahlen sprechen hier eine eindeutige Sprache. Den traurigen Tiefpunkt zeigt das Jahr 2020. Im gesamten Alpenrhein konnten nur noch 120 Bachforellen, eigentlich die Leitfischart, entnommen werden.
Kaum noch Kleinlebewesen im Alpenrhein
Makrozoobenthos sind Kleinlebewesen am Gewässerboden, also zum Beispiel Würmer, Insektenlarven, Krebstiere oder Muscheln. Das Makrozoobenthos am Alpenrhein wurde 2015 im Basismonitoring Alpenrhein genauer untersucht, mit besorgniserregendem Ergebnis: Diese Kleinlebewesen sind im Alpenrhein kaum noch vorhanden.
Bereits 2009 wurde eine solche Untersuchung gemacht, somit ist ein Basiswert vorhanden. Die Tendenz ist klar erkennbar: Die Individuendichte hat praktisch an allen Standorten abgenommen. In Nebengewässern des Alpenrheins hat sie hingegen im gleichen Zeitraum um bis zu 80% zugenommen und ist bis zu fünfmal höher als im Alpenrhein.
Kritisch niedrige Biomasse, wenige Arten
Ein weiterer Aspekt, der zeigt, in welch kritischem Zustand der Alpenrhein ist, ist die Biomasse der Fische. Bei der letzten Untersuchung 2019 lag die Biomasse an allen Strecken im Alpenrhein unter 7 kg/ha. Ohne aufsteigende Seeforellen wäre die Biomasse bei 0,3 bis 1,6 kg/ha. Naturnahe Gewässer haben etwa eine Biomasse von 155 kg/ha, also rund 22-mal so viel wie der Alpenrhein.
Auffällig ist auch, dass kaum Fische über dem Schonmass von 25 cm nachgewiesen wurden. Arten wie Egli oder Trüsche, welche ebenfalls im Gewässer vorkommen müssten, wurden nicht gefunden.
Hauptproblem Schwallbetrieb
Schon seit 2005 ist der damals bereits massive Schwall- und Sunkbetrieb (kurz Schwallbetrieb) am Alpenrhein in der fischökologischen Basisaufnahme festgehalten. Der Schwallbetrieb wurde seither nicht etwa zurückgefahren, sondern massiv aufgedreht. Das Problem ist also schon seit langem bekannt, die dadurch verursachte Umweltschädigung interessiert aber offensichtlich nur wenig.
Aufgrund der Messungen kann man gut nachvollziehen, wie die Wasserkraft den Pegel des Rheins beeinflusst. Bis Mitte der 1980er-Jahre war die mittlere Pegelveränderung am Tag noch unter 0,5 Meter. Im Jahr 2020 war die mittlere Tagesschwankung bei 1,2 m pro Tag.
Der Schwallbetrieb schädigt die Fische nicht nur durch Wegspülen. Sinkt das Wasser schnell, dann stranden die Fische und andere Wasserbewohner. Die Schwallzone, welche regelmässig trockenfällt, ist eine Todeszone für jegliches Leben. So kann sich kein Leben in und am Fluss entwickeln.
Hinter den Kraftwerken, welche den Schwall am Alpenrhein produzieren, stehen nicht irgendwelche anonyme Investoren. Der grosse Teil der Schweizer Stromproduzenten ist in öffentlicher Hand, meistens bei grösseren Städten (z. B. Bern, Zürich) oder Kantonen (z. B. Aargau, Bern, Zürich). Das EWZ, das zu 100% der Stadt Zürich gehört, produziert bei den Kraftwerkszentralen Rothenbrunnen und Sils i. D. einen Schwall, der die für den Alpenrhein wichtigen Rhäzünser Auen zerstört. Der Schwall geht dann weiter in den Alpenrhein und sorgt dort für weitere Umweltzerstörung.
Rechtliche Lage
Eigentlich müsste die Schwallsanierung bis 2030 abgeschlossen sein. Das Geld dafür wird seit 2012 über einen Zuschlag auf die Übertragungskosten im Hochspannungsnetz bereitgestellt, die Schwallsanierung wird also von uns allen bezahlt. Pro Jahr werden so etwa CHF 50 Mio. erhoben, Geld wäre also vorhanden. Statt die Mittel abzurufen oder geltendes Recht durchzusetzen, werden aber schon Rufe nach einer Fristverlängerung laut.
Der Schwallbetrieb und die damit einhergehende Umweltzerstörung ist nicht nur ein Problem des Alpenrheins. Diverse Gewässer in den Alpen, sowohl in der Schweiz als auch in Österreich, sind schwallbelastet.
Der Schwallbetrieb im Alpenrhein ist, soweit nachprüfbar, aktuell rechtskonform. Trotzdem werden so zum Beispiel Auen von nationaler Bedeutung wie die Mastrilser Auen zerstört. Auch geschützte Fische wie die Nase werden mit dem Schwallbetrieb massiv geschädigt.
Momentan befindet man sich noch in der Planungsphase, obwohl die Umsetzung schon in acht Jahren erfolgt sein müsste. Solche Projekte sind in der ganzen Schweiz stark verzögert.
Enormes Potenzial des Alpenrheins
Grundsätzlich hat der Alpenrhein trotz aller Widrigkeiten ein enormes ökologisches Potenzial. Dies wird ersichtlich, wenn man die Binnenkanäle Werdenberg und Liechtenstein mit ihren guten Fischbeständen als Referenz nimmt. Ursprünglich kamen im Alpenrhein und den nahe gelegenen Rheinauen diverse Arten vor, neben Forellen und Äschen auch Barben, Nasen, Hasel, Alet, Schleien, Karpfen, Egli, Hechte und andere Weissfische. Nach der längst fälligen Realisierung einer ökologischen Aufwertung wären für den gesamten Alpenrhein wohl wieder Fangzahlen um die 30 000 bis 40 000 Fische pro Jahr möglich.
2 Kommentare
Antworten an: Martin
Josef | 26 | 06 | 2023 |
Dass die Verzögerung von den Umweltverbänden kommt ist nett formuliert blanker Unsinn. Umweltverbände wie WWF oder Pro Natura setzten sich seit Jahren dafür ein, dass das Gewässerschutzgesetzt, welches wir im 92 mit klarem Ja angenommen haben umgesetzt wird.
Ja wir brauchen die Wasserkraft, eine saubere, umweltverträgliche Wasserkraft ist aber nicht nice to have sondern gesetztlich so vorgesehen. Sozusagen unser Recht auf gesunde Gewässer und vom Volk abgesegnet.
Martin
Tja, und wer verzögert diese Projekte immer? Es sind die Umweltverbände! Es ist im Übrigen nicht nur bei diesen Projekten so, dass man hinterher hinkt, auch beim Lärmschutz hinkt man zig Jahre hinterher. Es sollte einfach allen klar sein, dass die Wasserkraft einen Grossteil unseres Stromes produziert und das sehr sauber. Die AKW's sollen ja bekanntlich weg und mit Wind- und Solarparks kann man kein stabiles Stromnetz betreiben. Da wir ja bald alle nur noch elektrische Autos fahren sollen und auch diese Autos Strom brauchen, genau so wie die Wärmepumpen zum Heizen, dürfte es schwierig werden, dies alles unter einen Hut zu bringen. Anstatt immer gegen die Wasserkraft zu wettern, sollte mal das Gesamtbild betrachtet werden. Natürlich gibt es Verbesserungspotential, aber man kann nicht immer nur fordern und fordern.