Barschzähmen leicht gemacht
20 | 05 | 2020 DiversesText: Rolf Michel | Illustrationen: Patrick Stieger 05756
20 | 05 | 2020 Diverses
Text: Rolf Michel | Illustrationen: Patrick Stieger 0 5756

Barschzähmen leicht gemacht

Letztes Mal habe ich an dieser Stelle vom «Barsch in mir» geschrieben. Und es gibt Situationen, da spüre ich ihn besonders. Zum Beispiel, wenn ich – wie eben – mit dem falschen Bein aufgestanden bin. Dann stellt sich meine Stachelflosse hoch, damit sich ein Hecht namens Alltag an mir die Zähne ausbeisst. 

Doch der Reihe nach. Ich bin wütend aufgewacht, fühle mich aufgekratzt und ruhelos. Meine Gedanken sind so unkontrolliert wie bei einem hyperaktiven Teenager im Internet, auf fünf Geräten gleichzeitig: Nachrichten checken, Serie im Hintergrund laufen lassen, in neue Songs reinhören, Instagram, Snapchat, Tiktok. Die Welt erscheint unwirtlich und feindselig, der Barsch in mir ist auf Krawall gebürstet, hat sich aufgeplustert und die Flossen hochgestellt. 

So rauschen die Gedanken und die Emotionen dahin, bilden ein inneres Hochwasser und die Zeitung vor mir macht es auch nicht besser. Was man da wieder lesen muss: Kein Geld für Gewässerschutz, aber für riesige Bildungsprojekte mit unbrauchbaren Lehrmitteln und fragwürdigen Schulreformen. Aber auch ohne Zeitung kann man es schon vom Schlafzimmer aus sehen: Kinder entsorgen ihre Aludosen in meinem Vorgarten, an der Strasse vor dem Haus wieder Stau. Ja, all die Autos mit zu viel Gewicht und zu wenig Personen drin, die alle weiss Gott warum wieder in die Stadt wollen. Macht das etwa Spass? Egal. Es ist so, die Welt geht vor die Hunde. «Wisst Ihr was? Mir reichts, ich geh jetzt fischen.»

Abends dann, entspannt, leichter Sonnenbrand. Fischereilicher Erfolg? Naja, zwei schöne Barschfilets brutzeln in Bratbutter. Dazu gibts Chicorée mit Birne an Curry-Kräuter-Vinaigrette. Nach dem Essen denke ich an meine miese Verfassung von heute Morgen. Einmal mehr bin ich verblüfft darüber, wie ausgleichend Fischen auf mich wirkt. Einige Stunden am Wasser, und die Welt präsentiert sich in einem anderen Licht. Sogar das Körpergefühl ist besser. Was kümmern mich jetzt Nachrichten und Meinungen? Es hat ja noch Fische, trotz schlankgespartem Gewässerschutz. Und die Sache mit dem Autofahren wird sich in einem guten Jahrzehnt wohl eh erledigt haben. Es fühlt sich an, als hätte ich mit der Flucht ans Wasser den aufgekratzten inneren Barsch vom Morgen endgültig in die Pfanne gehauen. Aber der hat sich nur in Deckung gebracht, wetten? Ich kann mir gut vorstellen, wohin er sich verzogen hat: Aus der Sonne, aus dem Licht in den Schatten. Dort steht er nun, neugierig und ein bisschen feige, bereit dazu, seinen Kamm wieder aufzustellen. Ich bin fest entschlossen, darauf mit ein paar Stunden am Wasser zu reagieren. 

 

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