08 | 10 | 2018 | Diverses | 0 | 5043 |
08 | 10 | 2018 | Diverses |
0 5043 |
Das FF-Wort
«Fangfrisch» ist ein wunderbar wohlklingendes Wort. Entsprechend gern und beliebig wird es von Werbern, Journalisten, Köchen und Fischern verwendet. Leichtfertig werden Ebenen vermischt und Missverständnisse kreiert. Daniel Luther versucht das Wirrwarr zwischen Liefertempo, Hygiene und kulinarischer Qualität zu entwirren.
Es gibt Worte, die klingen so wunderbar stimmig, dass man sie einfach immer wieder in den Mund nehmen will. Auch wenn sie eigentlich gar nicht passen. «Geil» ist ein geiles Beispiel. Ein anderes ist «fangfrisch». Ursprünglich bedeutete «fangfrisch» schlicht und einfach, dass der Fisch relativ kurz vor dem Verkauf oder dem Schockfrosten gefangen wurde. Mit der Zeit wurde das FF-Wort aber so beliebig benutzt, dass es mittlerweile für Verwirrung sorgt.
Verwechslungsgefahr
Deshalb klipp und klar: «Fangfrisch» bedeutet nicht automatisch hochwertig oder wohlschmeckend. «Fangfrisch» ist ursprünglich nur eine Zeitangabe. Den gut informierten Foodies und aufgeklärten Gourmets ist durchaus bewusst, dass sogar der sogenannte Tagesfang mehr als einen Tag braucht, bis er auf dem Eis bei ihrem Comestible liegt. So richtig frische Fangfrische ist exklusiv uns Petrijüngern vorbehalten. Doch bereits in den ersten Stunden, ja Minuten nach dem Fang passieren wichtige Dinge, die die Qualität des Fischs als Lebensmittel massiv beeinflussen. Zwei Stunden nach dem Fang können Felchen, die achtlos in der Sonne gelegen haben, bereits ungeniessbar sein. Selbst superfangfrisch ist keine Garantie für Supergenuss.
Achtung, stinkende Piraten!
Sobald ein Körper ohne Kapitän unterwegs ist, versuchen aggressive Mikroben das steuerlose Schiff zu entern und seine Schätze zu plündern. Die wirkungsvollste Abwehr gegen eine feindliche Übernahme sind tiefe Temperaturen. Weniger als zehn Grad behindern die meisten Mikroorganismen schon spürbar, im Bereich zwischen null und vier Grad sind sie praktisch ausser Gefecht gesetzt.
Lässt man die Bakterien hingegen das Kommando übernehmen, dann machen sie sich gierig über die energiereichen Moleküle her und scheiden «zum Dank» übelriechende oder sogar giftige Stoffwechselprodukte aus. Unser Fisch beginnt zu fischeln und wird von Stunde zu Stunde ungeniessbarer.
Die konsequente Kühlung des Fangs möglichst im Bereich von null Grad ist deshalb die wichtigste Massnahme, um die optimale Qualität für die Küche zu sichern. Das beginnt schon auf dem Boot oder am Ufer. Mit Ausnahme der Wintermonate sollte man immer eine Kühlbox dabei haben – idealerweise mit ein paar Litern Eis gefüllt.
Vorbereiten zum Genuss
Das Versorgen der Beute beginnt gleich nach dem Fang. Wer den Fisch nicht schonend hältern kann, betäubt ihn mit gezielten Schlägen auf das Schädeldach zwischen den Augen, wo sich das Gehirn befindet. Getötet wird der Fisch mit einem beidseitigen Kiemenschnitt. Danach lässt man den Fisch idealerweise in Wasser, beispielsweise in einem Kübel, ausbluten, was bei grossen Exemplaren mehrere Minuten dauern kann. Doch der Aufwand lohnt sich. Je weniger Blut in der Muskulatur verbleibt, desto haltbarer und geschmackvoller wird das Fleisch. Mit dem Blut entfernt man eine erhebliche Menge von Enzymen und Milchsäure aus dem empfindlichen Muskelgewebe.
Erst danach wird der Fisch sauber ausgenommen und/oder filetiert. Besonders im Verdauungstrakt (Speiseröhre, Magen und Darm) wimmelt es von Bakterien. Je weniger sein Inhalt mit der Muskulatur in Berührung kommt, desto besser für die Qualität. Keimarmes Arbeiten ist auch nach diesem Schritt wichtig: Schneidbrett, Messer, Aufbewahrungsgefässe und vor allem die Hände müssen sorgfältig gewaschen werden. Untersuchungen zeigen, dass die meisten Keime auf verdorbenen Fischen von den Menschen stammen, die sie verarbeiten. In professionellen Fischverarbeitungsbetrieben und Sushi-Restaurants sind Handschuhe und Mundschutz Pflicht!
Frisch ist noch lange nicht fein
Ist unser Fang sorgfältig ausgeblutet, ausgenommen, zerlegt und gekühlt, dann sind die Voraussetzungen für kulinarischen Hochgenuss geschaffen. Doch fangfrischer Fisch ist in der Regel weit entfernt vom geschmacklichen Optimum. Fischfleisch ist in dieser Hinsicht vergleichbar mit dem Fleisch von Vögeln und Säugetieren. Es muss sich entspannen und je nach Art sogar reifen, um seine besten kulinarischen Eigenschaften zu entwickeln.
Wer verstehen will, was richtig feinen Fisch ausmacht, muss die Prozesse verstehen, die nach dem Tod ablaufen. Tot gilt ein Fisch, sobald das Gehirn keine Aktivität mehr zeigt und das Herz nicht mehr schlägt. Der Tod bedeutet aber keineswegs, dass sämtliche Vorgänge im Körper auf einen Schlag gestoppt werden. Im Gewebe werden energiereiche und komplizierte Moleküle umgebaut und zerlegt. Aus dem Speicherstoff Glykogen entsteht beispielsweise Milchsäure, und die langen Eiweissketten, die die Muskelfasern bilden, zerfallen in kürzere Bruchstücke. Diese Vorgänge verändern Geschmack und Konsistenz des Fischfleisches und machen es im Idealfall zarter, saftiger und aromatischer.
Wenig Stress und schneller Tod
Eine zentrale Rolle bei diesen Vorgängen spielt der Zellbrennstoff ATP. Er beeinflusst die Beschaffenheit des Muskelgewebes und seine Abbauprodukte sind wichtige Aromastoffe. Grundsätzlich gilt: Je normaler der ATP-Gehalt im Muskel, desto mehr Genuss! Bei heftiger Aktivität und Stress wird viel ATP verbraucht. Ein kurzer Drill und ein rascher Tod sind deshalb dem stundenlangen Zappeln im Netz nicht nur aus tierschützerischen Überlegungen klar vorzuziehen. Umstände und Art des Todes haben nachweislich einen Einfluss auf den Verlauf und die Dauer der Totenstarre. Sie tritt normalerweise nach einigen Stunden ein und dauert, auch in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur, bis zu zwei Tage.
Mit genügend ATP in den Zellen verläuft die Totenstarre harmonisch: Das Muskelgewebe erstarrt und entspannt sich ohne zu zerreissen. Die Folge ist festeres und saftigeres Fleisch. Das Ende der Starre wird herbeigeführt durch die Lösung der molekularen Brücken zwischen den Muskeleiweissen. Nun lässt sich das Fleisch braten, ohne dass es sich zusammenrollt oder verbiegt.
Bei vielen Arten entwickeln sich nach der Totenstarre angenehme Aromen, die sich aus Milchsäure, freien Aminosäuren und weiteren Abbauprodukten zusammensetzen: Gute Beispiele hierfür sind Bach- und Seeforelle, Saibling, Schleie und Trüsche. Beim Roten Thun, dem teuersten Fisch überhaupt, werden manche Stücke bis zu einer Woche gereift – für Sushi wohlgemerkt. Heilbutt erreicht gemäss skandinavischen Sterneköchen seinen geschmacklichen Zenit nach etwa 14 Tagen bei 0,5 Grad. Das sind zugegeben extreme Beispiele. Sie verdeutlichen aber, dass die Idee vom möglichst fangfrischen Fisch kulinarisch in die Irre führt.
Wie fast immer im Leben sind es Respekt, Sorgfalt und Wissen, die zum Ziel führen – zum perfekten Genuss.
Zeichen für Qualität
Wenn ein Fisch beim und nach dem Fang sorgfältig behandelt und konsequent gekühlt wurde, dann sieht und riecht und schmeckt man das. Natürlich hat aber auch der beste Fisch ein biologisches Verfallsdatum. Wie lässt sich die Qualität beurteilen?
Haut und Flossen: Glänzende Haut und intakte Flossen sind erfreuliche Anzeichen für Frische und schonenden Fang. Alarmsignale sind matte oder fleckige Haut und trüber Schleim.
Kiemen: Rote oder hellrote Kiemen, deren Struktur gut erkennbar ist, sind ein verlässlicher Indikator für Frische. Gelb, Grün oder Braun und Müeslikonsistenz deuten auf Verwesung.
Augen: Klare, pralle Augäpfel sind ein gutes Zeichen.
Muskulatur: Das Gewebe soll sich straff und elastisch anfühlen. Wirkt es schlaff, weich oder schwammig, Finger weg!
Geruch: Frischer Fisch riecht nach Wasser und Algen, aber nicht nach Fisch.
0 Kommentare
Keine Kommentare (Kommentare erscheinen erst nach unserer Freigabe)