Flach im Tiefen
15 | 05 | 2013 PraxisText: Matthias Wendt 05439
15 | 05 | 2013 Praxis
Text: Matthias Wendt 0 5439

Flach im Tiefen

Grosse Seen sind selten einfach zu befischen, davon können viele Spinnfischer ein Lied singen. Häufig verbringt man viel Zeit damit, die Fische zu suchen – und das meistens an Stellen, die schon mal Erfolg gebracht haben. Unser Experte empfiehlt auch mal in ganz anderen Bereichen zu suchen.

Es ist zum Verrücktwerden. Bereits seit den frühen Morgenstunden sind wir mit dem Boot auf einem mir vertrauten See unterwegs und fahren auf der Suche nach den Hechten einen Hotspot nach dem anderen ab.

Aber nichts, rein gar nichts, ist bisher passiert. Dabei brachten uns die Stellen, an denen wir die Fische heute suchen, vor genau einem Jahr etliche Bisse. Doch jetzt scheinen sie wie ausgestorben. Immer wieder richten wir unsere Blicke auf den Echolotbildschirm und wundern uns darüber, dass wir auf diesem noch nicht einmal die sonst reichlich vorhandenen Weissfischschwärme ausmachen können.


Zur Seemitte

Es ist Anfang Juni, und die Stellen, die wir heute befischen, sind zwischen drei und fünf Meter tief. Das Wasser ist klar – so klar, dass wir problemlos den Grund erkennen können. In der Vergangenheit waren diese Stellen immer eine gute Adresse für gute Hechtfänge, da sich die Fische – Räuber wie Futterfische – zu Beginn des Sommers gerne in diesen Bereichen aufhielten. Aber jetzt scheint alles anders zu sein. Kein Biss, kein Nachläufer, gar nichts.

Gegen Mittag liften wir wieder einmal den Anker. Der Wind hat aufgefrischt und drückt uns langsam vom Ufer weg in Richtung Seemitte. Mehr lustlos als motiviert schlenzen wir unsere Wobbler und langsam sinkenden Jerkbaits immer wieder ins Wasser. Wieder fällt mein Blick auf das Echolot, das inzwischen zwölf Meter anzeigt. Hier ergibt das Fischen keinen Sinn, denke ich noch, als hinter mir auf einmal der Ruf «Nachläufer! Und was für einer!» ertönt.

Ich drehe mich erschrocken um, sehe den Jerkbait meines Fischerkollegen in der Luft baumeln – und vor ihm einen mächtigen Schwall auf der Wasseroberfläche. Unsere Köder fliegen wieder ins Wasser. Diesmal aber nicht ganz so weit, denn der Hecht müsste sich ja eigentlich noch irgendwo in der Nähe des Bootes aufhalten. Und wirklich: Bereits wenige Sekunden später steigt bei meinem Fischerkollegen ein mächtiger Räuber ein.

Nach einem kurzen aber knackigen Drill liegt er im Boot. Der Hecht ist knapp einen Meter lang – ein toller Fisch, keine Frage. In diesem Gewässer nicht alltäglich, aber auch kein Grund, um durchzudrehen. Aber was uns wirklich bewegt, ist die Tatsache, dass der Fisch sich einen relativ flach geführten Salmo Slider gegriffen hat – und das, obwohl das Wasser in diesem Bereich rund zwölf Meter tief ist.

 

Mehr als ein Zufall

Dieses Erlebnis ist nun bereits einige Jahre her und war für mich ein wahrer Schlüsselmoment. Nie zuvor hatte ich in diesem oder in einem vergleichbaren Gewässer mit relativ grossen, flach laufenden Ködern über so tiefem Wasser gefischt – auf Egli schon, aber ganz sicher nicht auf Hechte. Dies sollte sich von nun an ändern.

Zu meiner Überraschung klappte das recht gut, was mich und andere Fischer zu zahlreichen Wiederholungstaten animierte und so manchen Hecht ins Boot brachte. Allerdings will ich auch nicht verschweigen, dass viele Versuche dieser Art erfolglos blieben, was einen dann häufig dazu bewegte, es wieder an den altbekannten Plätzen zu probieren.

Doch wenn sich der Erfolg in Form von gefangenen Fischen einstellte, fiel auf, dass es sich dabei meistens um grössere Exemplare handelte, also um Fische jenseits der 80-Zentimeter-Marke.

Es folgten weitere Experimente – und wo es erlaubt war –, auch mal mit geschleppten Ködern. Und schliesslich stellte sich in Gesprächen mit anderen Fischern heraus, dass diese bereits ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Das Ganze war also anscheinend kein Zufall. Allerdings konnte mir niemand eine wirklich eindeutige Erklärung dafür geben, weshalb das so ist.


Erklärung eines Phänomens

Ich habe dieses Phänomen bisher nur in grossen Seen beobachten können, genauer gesagt in solchen, die über eine Grösse von deutlich mehr als 100 Hektar und eine maximale Tiefe von mindestens 20 Metern verfügen. In diesen Gewässern waren die Hechte ab Ende Juni nur noch selten in den ganz flachen Bereichen zu finden.Die grösseren Hechte scheinen zu diesem Zeitpunkt meist schon wieder in den tieferen Bereichen unterwegs zu sein, wo sie möglicherweise den grossen Futterfischschwärmen folgen.

Auffällig ist, dass alle diese Gewässer auch über gute Eglibestände verfügen. Ich vermute, dass genau hier die Begründung für das beschriebene Phänomen liegen könnte. Raubende Eglischwärme neigen im Sommer häufig dazu, Kleinfischschwärme einzukreisen, sie in Richtung der Wasseroberfläche zu drängen, um dann kurz und heftig zuzuschlagen.

Möglicherweise haben es die Hechte, die inmitten eines Sees und nur wenige Meter unter der Wasseroberfläche unterwegs sind, also nicht auf die Kleinfische abgesehen, sondern vielmehr auf die mittleren und grossen Egli. Meine Erfahrung, dass die in diesen Bereichen gefangenen Hechte oft deutlich über 80 Zentimeter lang sind, könnte für diese Vermutung sprechen.

Sicher, die grösseren Hechte eines Gewässers sind auch in anderen Bereichen zu finden. Im Sommer zum Beispiel in der Nähe der Sprungschicht, dem Übergang vom warmen zum kalten Wasser, und auch in Bereichen, die nur wenige Meter tief sind. Aber sie scheinen teilweise auch dort unterwegs zu sein, wo man sie am allerwenigsten vermuten würde – zum Beispiel über tiefem Wasser wenige Meter unter der Oberfläche.

Dennoch: Es ist und bleibt ein Mysterium, und die Erklärungen hierfür beruhen mehr oder weniger auf Spekulationen. Fest steht bisher nur, dass es funktioniert. Und darauf kommt es letztlich an.

 

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