[Kormoran und Fischerei:] Ein ungelöstes Problem
26 | 11 | 2025 SchweizText: Erich Staub 0533
26 | 11 | 2025 Schweiz
Text: Erich Staub 0 533

Kormoran und Fischerei: Ein ungelöstes Problem

Die Situation am Neuenburger­see spitzt sich zu: Der Kormoranfrass entzieht der Berufs­fischerei die Lebens­grund­lage. Ein wirksames Management drängt sich auf – und doch wird die Kormorandebatte um ein Jahrzehnt zurückgeworfen. Ein faktenbasierter Zwischen­ruf von Erich Staub.


Mit etwas Galgenhumor könnte man sagen: Die Berufsfischer am Neuenburgersee machen ein gutes Geschäft – zumindest, wenn man dem jüngsten Bericht des Büros Aquarius glaubt. Dieser errechnet für 31 Betriebe einen jährlichen Kormoranschaden von gerade einmal 144'000 Franken, also rund 4,8 % des Verkaufswerts. Gleichzeitig winken die drei am Neuenburgersee zuständigen Fischereiverwalter diese Zahl durch und empfehlen ihren drei Regierungsräten, eine Schadenbeteiligung von 10'000 Franken pro Betrieb und Jahr auszubezahlen? Also mehr Unterstützungsgeld als der in der «Expertise» nachgewiesene Schaden für die Berufsfischerei-Betriebe. Hier stimmt etwas nicht.

 

Massiv unterschätzter Schaden

Die in der Studie mit 144'000 Franken bezifferten jährlichen kormoranbedingten Schäden werden als Beleg dafür dargestellt, dass die Auswirkungen der Kormorane vernachlässigbar seien. Doch diese Zahl basiert auf mehreren schwerwiegenden Denkfehlern. So wird der Schaden auf den Brutto- statt auf den wesentlich aussagekräftigeren Nettoertrag bezogen. Verschiedene Faktoren, welche die Erträge beeinflussen – etwa vergrämte Fischschwärme, zerrissene Netze oder entgangene Fangmöglichkeiten – werden ignoriert. Auch wird die tatsächliche Fischbiomasse, die den Kormoranen und der Fischerei jeweils zufällt, nicht quantifiziert – obwohl genau dies entscheidend wäre.

Eine umfassendere Analyse zeigt ein ganz anderes Bild: Im Sommer 2023 haben Kormorane rund 294 Tonnen Fisch aus dem See gefressen – das entspricht etwa 75 % der gesamten nutzbaren Fischbiomasse. Die Berufs­fischerei brachte im gleichen Zeitraum lediglich 106 Tonnen an Land. In monetären Begriffen bedeutet das: Der wirtschaftliche Verlust beläuft sich auf mindestens 7 Millionen Franken. Rechnet man den Kormoranfrass während des Winterhalbjahrs hinzu, ergibt sich ein Gesamtschaden von über 10 Millionen Franken jährlich – ein Vielfaches der von Aquarius angegebenen Ziffern und ebenfalls weit weg vom empfohlenen Unterstützungsgeld.



Fangertrag der Berufsfischerei sowie Kormoranprädation in Tonnen pro Jahr



Der Kormoran ist Hauptverursacher des Fangrückgangs

Die Erträge der Berufsfischerei sind dramatisch eingebrochen. Die interkantonale Fischereikommission (FR, VD, NE) sieht die Existenz von rund 30 Betrieben bedroht. Als kurzfristige Notmassnahme wurde deshalb die erwähnte Überlebenshilfe von 10'000 Franken pro Jahr und Betrieb beschlossen. Demgegenüber wird von Vogelschutzkreisen immer wieder behauptet, die Überschneidung zwischen Kormoranfrass und Fischereierträgen betrage nur 8 %. Doch Auswertungen von über 750 Kormoranmägen aus der Schweiz zeigen klar: Rund 75 % der gefressenen Fische gehören zu den Hauptzielfischen der Berufsfischerei – Egli, Felchen, Hecht, Zander und Salmoniden. Einzig bei den Weissfischen liegt der Anteil beim Kormoran höher als bei der Fischerei.

 

Das Bundesamt für Umwelt blockiert pragmatische Lösungen

Statt die wirtschaftliche Existenz der Berufsfischer zu sichern, vertritt das Bundesamt für Umwelt (BAFU) eine äusserst restriktive Haltung. So wird behauptet, dass Fische, die von Kormoranen gefressen werden, oder Mehraufwände durch Schutzmassnahmen keine Schäden im Sinne des Gesetzes darstellen und daher nicht entschädigt werden können – obwohl ein vom BAFU selbst in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zu einem anderen Schluss kommt. Hinzu kommt eine problematische Auslegung­ des Nachhaltigkeitsprinzips: Während sich Berufs- und Angelfischer an rigide Schonvorschriften halten­ müssen, bleibt der unregulierte Kormoranbestand völlig ausser Kontrolle. Auch die generelle Aussage des BAFU, jagdliche Eingriffe hätten keine wirksame Reduktion des Bestands zur Folge, ist fachlich nicht haltbar. Dabei zeigt der Rückblick in die Jahre 2006–2008, dass deutlich kleinere Brutbestände sehr wohl möglich und mit der Nutzung der Fischressourcen vereinbar sind.

 Der Kormoranbestand am Neuenburgersee ist seit Jahren riesig, wie dieses Bild von Leser Mark Wyrsch aus dem Jahr 2019 zeigt.

Der Kormoranbestand am Neuenburgersee ist seit Jahren riesig, wie dieses Bild von Leser Mark Wyrsch aus dem Jahr 2019 zeigt.


Ohne Bestandsregulierung geht es nicht

Die derzeitige «Laisser-faire»-Strategie gegenüber dem Kormoran-Brutbestand ist für die Fischerei untragbar. Ein nachhaltiges Wildlife-Management ist unumgänglich – mit dem Ziel, den Kormoran-Sommerbestand langfristig von aktuell rund 9000 auf etwa 500–1000 Vögel zurückzuführen. Zwei zentrale Massnahmen sind dafür nötig: erstens­ die gezielte Bejagung der sogenannten «Nestbau-Männchen» zwischen Ende Februar und Mitte März. Diese Vögel kehren früh aus dem Winterquartier zurück, errichten Nester und ziehen damit Weibchen an. Zweitens müssen möglichst viele der ausgeflogenen Jungkormorane – sogenannte «Weissbäuche» – im Sommer abgeschossen werden.

Die Umsetzbarkeit dieser Massnahmen – insbesondere in den oft streng geschützten Brutgebieten – muss politisch, rechtlich und verwaltungstechnisch geklärt werden. Zudem braucht es eine klare Definition, welche kormoranbedingten Schäden als fischereilich zu qualifizieren und somit zu entschädigen sind. Dazu gehört auch die Verpflichtung der Kantone zur Schadensabgeltung, mit einer Bundesbeteiligung von 50-80 %.

 

Am Neuenburgersee drängt die Zeit

Am Neuenburgersee ist die Lage akut: Solange sich dort im Sommer über 3000 Kormorane sowie rund 3000 Jungvögel aufhalten, wird sich an der dramatischen Übernutzung nichts ändern. Insgesamt entnehmen die Vögel jährlich rund 300 Tonnen Fisch – dreimal so viel wie die Berufsfischerei, die mit 100 Tonnen kaum noch überleben kann.

Mit dem Rückgang der Fangmengen schrumpften auch die Erträge: Früher konnten 300 Tonnen Fisch rund 9 Millionen Franken Umsatz generieren, heute reichen 100 Tonnen nur noch für 3 Millionen. Die wirtschaftliche Grundlage der Berufsfischerei bricht damit weg. Die kantonale Unterstützung von einer Million Franken über drei Jahre ist gut gemeint – wird die Betriebe aber kaum retten.

Deshalb sind jetzt klare politische Entscheide gefragt. Die zuständigen Regierungsräte aus Freiburg, Waadt und Neuenburg müssen mit Nachdruck ein Bestandsmanagement beschliessen. Und auch das BAFU ist in der Pflicht, seinen Kurs zu korrigieren und zielführende, umsetzbare Massnahmen zu ermöglichen. Und zwar auch in bestehenden Schutzgebieten.

 Rund 300 Tonnen Fisch entnehmen die Kormorane dem Neuenburgersee jährlich.

Rund 300 Tonnen Fisch entnehmen die Kormorane dem Neuenburgersee jährlich.


Hoffnung oder Hinhaltetaktik? Die Rolle der Dialoggruppe

Seit 2022 tagt die vom Bund eingesetzte «Dialoggruppe Kormoran» – ein Gremium aus Fischerei-, Umwelt-, Vogel- und Naturschutzkreisen. Die Erwartungen sind hoch: Man will sich einigen auf eine faire «Kuchenverteilung» der Fischressourcen, auf eine gesellschaftlich tragbare Kormoranzahl und auf konkrete Massnahmen zur Steuerung der Brutkolonien.

Doch ob diese Ziele tatsächlich erreicht werden, ist offen. Nach vierzehn Sitzungen liegen keine konkreten, rasch umsetzbaren Massnahmen vor, mit welchen der Kormoran/Fischerei-Konflikt entscheidend entschärft werden kann: Die Fronten bleiben verhärtet und ein Konsens scheint weit entfernt. Sollte die Dialoggruppe scheitern, wird ein Machtwort von Bundesrat Albert Rösti nötig sein, wie beim Wolf.


Die ausführliche Fassung inklusive Quellenangaben und verwendete Daten kann hier als PDF herunter­ge­laden werden.


   

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