Rhone ohne Korsett
15 | 05 | 2020 SchweizText & Interview: Stefan Wenger | Fotos: David Miesch 06625
15 | 05 | 2020 Schweiz
Text & Interview: Stefan Wenger | Fotos: David Miesch 0 6625

Rhone ohne Korsett

David Miesch arbeitet als Oberbauleiter beim Kantonalen Amt für Wasserbau für die 3. Rhonekorrektion im Oberwallis. Zu seinen vielen Hobbys zählt auch das Fliegen­fischen. Stefan Wenger hat den Leiter des Grossprojekts interviewt.


Schon bei ihrem Namen lässt sie sich nur schwer in ein Korsett zwängen. Die alte Dame, die das Land am Rhonestrand, wie es in der Walliser Hymne besungen wird, durchquert. Die Oberwalliser nennen sie im Dialekt den Rotten. Auf Hochdeutsch ist der Rotten eine Frau (die Rhone) und auf Französisch ein Mann (Le Rhône). Mir gefällt die weibliche Form besser, weil für mich die Rhone eher sanft und lieblich als rau und ungestüm ist. Viele Walliser sahen das offenbar ganz anders. Mehrmals haben sie versucht, die wilde Rhone in ein enges Korsett zu schnüren. So wurde sie nach den Überschwemmungen von 1860 bei der ersten, drei Jahrzehnte dauernden Rhonekorrektion (1863 bis 1894) eingedämmt. Die korrigierte Rhone konnte jedoch die Millionen Kubikmeter Kies, die ihr über die Nebenflüsse zugeführt wurden, nicht mehr bis zum Genfersee transportieren. Als Folge davon wurde das Flussbett immer höher, so dass es 1897 und 1935 zu weiteren Überschwemmungen kam. 

Mit der 2. Rhonekorrektion (1936 – 1961) sollte der Geschiebetransport erhöht werden. Dazu wurde das Flussbett verengt, die Dämme wurden verstärkt und erhöht. Doch erst ab 1960, mit der Inbetriebnahme der ersten Kieswerke am Fluss, welche das überschüssige Material aus den Zuflüssen abbauten, konnte das Problem weitgehend behoben werden. Im Oktober 2000 war die Situation der Rhone überall kritisch. Im Unterwallis, wo der mittlere Abfluss der Rhone zu dieser Jahreszeit 100 m3/s beträgt, führte der Fluss 980 m3/s. Es kam zu Dammbrüchen und verheerenden Überschwemmungen. Damit stieg der politische Wille für eine 3. Rhonekorrektion. 

 
Stefan Wenger: Kannst Du das Projekt kurz umschreiben?

David Miesch: Die 3. Rhonekorrektion umfasst den Abschnitt vom Rhonegletscher bis zum Genfersee und ist das grösste Hochwasserschutzprojekt der Schweiz. Auf rund 160 Kilometern Flusslauf soll in den Kantonen Wallis und Waadt die Rhone erneut korrigiert werden. Die Kosten betragen rund 3,6 Milliarden Franken.

 
Das ist eine immense Geldsumme. Lohnt sich das?

Heutige Schätzungen sprechen davon, dass bei einer erneuten Überschwemmung mehr als 100?000 Personen in Gefahr sind. Das Schadenspotenzial beträgt rund 20?Milliarden Franken. Nur schon vor diesem Hintergrund lohnt sich eine so riesige Investition.

 
Welche Massnahmen sind geplant und wie lange dauern sie?

Die 3. Rhonekorrektion umfasst drei verschiedene Massnahmentypen: Flussaufweitung, Sohlenabsenkung und lokale Aufweitung. Auch eine Kombination dieser Massnahmentypen ist möglich. Genaue Termine lassen sich nur schwer abschätzen. Aus heutiger Sicht rechnen wir mit einer Bauzeit von etwa 30 Jahren. Bei einem solchen Grossprojekt bestehen am Anfang immer noch grosse Risiken. So weiss man nicht, ob sich bei der Planung oder durch Einsprachen Verzögerungen ergeben.

 
Wurden bereits Projekte realisiert?

Die Planung läuft schon seit 20 Jahren. 2014 wurde die Finanzierung der Rhonekorrektion durch das Kantons­parlament sichergestellt und 2015 von der Walliser Bevölkerung an der Urne bestätigt. Bei Visp und Baltschieder wurde neben dem reinen Hochwasserschutz bereits die Mündung der Vispa neugestaltet und fischgängig gemacht. Als nächstes wird der Mündungsbereich des Baltschiederbachs renaturiert und wieder mit der Rhone vernetzt. Sobald die Projektanpassung genehmigt ist, kann die Rhone bei Brigerbad aufgeweitet werden.

 
Was ist Deine Funktion?

Als Oberbauleiter habe ich ein sehr vielfältiges Aufgabenfeld. Unter anderem bin ich für die Umsetzung der Arbeiten, das Abrechnungswesen, die Koordination der Ingenieurmandate und die Vergabeprozesse zuständig. 

 
Welche Beziehung haben die Walliser zur Rhone?

Da kann ich nur für mich sprechen. Mir scheint es aber, dass – abgesehen von den Spaziergängern und Velofahrern entlang der Rhonedämme – die Rhone wenig beachtet wird. Mit der 3. Rhonekorrektion wird, so meine Hoffnung, die Rhone für alle ein neues Erlebnis und jeder soll seinen Nutzen haben. Die Rhonekorrektion ist ja nicht nur ein Hochwasserschutzprojekt. Die Rhone soll nicht nur sicherer, sondern auch natürlicher und attraktiver werden. 

 
Die Rhone wird von Biologen als öde Wasserautobahn bezeichnet. Wurde konkret auch an die Fische gedacht?

Der Grundsatz der 3. Rhonekorrektion ist es, dass zu Beginn der Ausweitungen das Flussbett auf der ganzen Breite benetzt ist. Dies bedeutet, dass die Rhone bei Niedrigwasser und normalen Wasserständen durch alternierende Bänke ein anderes Erscheinungsbild hat. Dadurch bilden sich unterschiedliche Strukturen mit verschiedenen Fliessgeschwindigkeiten. Zusätzlich werden verschiedene Arten von Fischunterständen gebaut.  Als leidenschaftlicher Fliegenfischer habe ich ein besonderes Augenmerk auf die Natur und die Fische. Wir versuchen – wo auch immer möglich – das Maximum für die Natur und den Menschen zu erreichen. Die Rhone soll für alle einen Nutzen haben, auch für die Fische. Bei Hochwasser wird die Rhone jedoch eine Wasserautobahn bleiben.

 David Miesch beim Fliegen­fischen an der ausgeweiteten Rhone bei Baltschieder.

David Miesch beim Fliegen­fischen an der ausgeweiteten Rhone bei Baltschieder.

 Fischunterstand mit Baumstamm, welcher mit Stahlseilen und grossen Steinen befestigt wird.

Fischunterstand mit Baumstamm, welcher mit Stahlseilen und grossen Steinen befestigt wird.

 Ausfischen vor den Bauarbeiten.

Ausfischen vor den Bauarbeiten.

 Aufgeweitete und renaturierte Rhone bei Baltschieder.

Aufgeweitete und renaturierte Rhone bei Baltschieder.

 3. RhoneKorrektion im Oberwallis

3. RhoneKorrektion im Oberwallis


Wie verhält es sich mit anderen Wasserbewohnern? Insekten? Krebsen?

Auch die biologische Vernetzung wurde bei der Erarbeitung des generellen Projekts berücksichtigt und fliesst weiter in die Erarbeitung der Auflageprojekte ein. So ist auch an die Kleintiere gedacht worden. Es werden, wo immer möglich, Brutplätze und Kleintierstrukturen erstellt.

 
Mit der Rhonekorrektion wird Frau Rhone das Korsett entfernt. Haben die Bauarbeiten Auswirkungen auf die Fischbestände?

Klar sind die Bauarbeiten störend für die Fischbestände. Nach dem Abschluss der Arbeiten ist die Vernetzung mit den Seitenbächen vielerorts wieder sichergestellt. Die Adern der Rhone sind die Seitengewässer. Mit deren Anbindung und der Sicherstellung der Fischgängigkeit wird das Möglichste gemacht. Das Beispiel der neu gestalteten Vispamündung zeigt, dass der Kreislauf hier wieder funktioniert. Die Fische können wieder frei wandern und sich natürlich vermehren.

 
Kannst Du Dich als Fliegenfischer in die Projekte einbringen? Bist Du zufrieden mit dem, was für die Fische getan wird?

Wie bereits erwähnt versuche ich soweit wie möglich die Interessen der Fische und der Fischer zu wahren. In erster Linie ist und bleibt es aber ein Hochwasserschutzprojekt.

 
Hört man auf die Fischer? 

Ich habe mit einigen Fischern Kontakt und die Rückmeldungen der umgesetzten Massnahmen sind durchaus positiv. Soweit möglich, versuche ich konstruktive Anmerkungen in die Projekte einfliessen zu lassen. Dabei kann sich eigentlich jeder einbringen. Schon das Interesse an diesem Jahrhundertprojekt kann Wirkung zeigen. Um die Interessen der Fischer zu berücksichtigen, haben wir gute Kontakte mit den einschlägigen Verbänden und Fachspezialisten aufgebaut. Diese setzen sich beispielhaft für die Belange der Fische und der Natur ein. 

 
Noch eine kritische Frage. Bringt die 3. Rhone­korrektion etwas, wenn immer noch fünf Wehre die freie Fischwanderung in der Rhone verhindern?

Die 3. Rhonekorrektion ist ein Jahrhundertprojekt und dient dem Hochwasserschutz. Man sollte nicht das eine mit dem anderen vermischen. Es ist klar, dass diese Wehre ein Problem sind. Unser Amt versucht mit allen Akteuren – also auch mit den Betreibern der Flusskraftwerke – einen Konsens zu finden. Daher meine klare Antwort: Ja, das Projekt bringt einiges und ist enorm wichtig für uns alle. 

 
Was wünschst Du Dir für die Rhone?

Ich wünsche mir eine freie, möglichst natürliche Rhone, wo immer möglich. Für mich könnte die Rhone auf der ganzen Länge wie im Pfynwald aussehen. Die Hoffnung stirbt zuletzt, und deshalb bin ich davon überzeugt, mit der 3. Rhonekorrektion ein Projekt begleiten zu dürfen, das allen Lebewesen eine gemeinsame Zukunft bringt. Zum Glück habe ich bei diesem spannenden Projekt die volle Unterstützung von meinen Kollegen. Maurizio, Rudi, Derk und Daniel möchte ich für die gute Zusammenarbeit an dieser Stelle ganz herzlich danken.
 


3. RhoneKorrektion im Oberwallis

Projektperimeter: 160 km, Kantone Wallis und Waadt
Kosten: 3,6 Milliarden CHF
Bauzeit:   30 Jahre
Weitere Infos: www.vs.ch/de/web/rhone/
 

 

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