21 | 03 | 2016 | Schweiz | 0 | 6377 |
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Warum Fischen?
Die schönste Form des Scheiterns
Warum fischen wir eigentlich? Warum stellen sich Menschen freiwillig ans Wasser, um fast nie einen Fisch zu fangen? Christoph Schwennicke ist diesen Fragen auf den Grund gegangen. Hier sein selbstironischer Erklärungsversuch.
Wir Fischer haben ein Problem. Wir haben im Grunde sehr viele Probleme. Unser grösstes Problem aber sind wir selbst. Fischer sind, nun ja, nicht per se sexy. Die meisten Frauen haben ein Problem damit, dass jemand mit blossen Händen einen Wurm auf einen Haken aufzieht und sie hinterher mit den gleichen Händen anfassen möchte, gewaschen hin oder her. Sie brauchen eine Weile, um zu begreifen, dass Hände, die ein 16er-Häkchen an eine 0,10er Schnur binden können, feinmotorische Fähigkeiten bieten, die auch bei anderen Gelegenheiten von Vorteil sein können.
Aber der Fischer bleibt der Mann für den zweiten Blick, bestenfalls. Ich glaube, was den Frauen am Fischen missfällt, ist neben der einen oder anderen unappetitlichen Begleiterscheinung die Ungewissheit. Sie haben es gerne planbar. Fischen aber ist nicht planbar, sondern eine Tätigkeit mit tausend Unbekannten. Das fängt beim Einkauf an. Soll man nun etwas fürs Abendessen besorgen, oder kann man damit rechnen, dass es nach dem Ausflug ans Wasser Fisch gibt?
Oder die Tagesplanung in den Ferien. Im Prinzip geht es nur um drei Stunden netto am Wasser, die wir uns ausbedingen. Aber diese drei Stunden bestimmen dann den Ablauf des ganzen Tages. Jetzt ist zu viel Wind, nachher ist Ebbe, und wenn Flut und Windstille wäre, wäre meine Frau am liebsten mit dem Auto in der nächsten Stadt.
So kommt es zu fundamentalen Wahrnehmungsunterschieden. «Den ganzen Urlaub geht es nur um dein Scheissfischen», sagt sie. «Jetzt bin ich einmal in diesem herrlichen Land und komme nie zum Fischen», denke ich mehr als ich es laut zu sagen wage. Das Schlimme ist: Wir haben beide recht.
Fleischmaden auf Wanderschaft
Oder die unterschiedlichen Vorstellungen davon, wofür ein Kühlschrank gut ist. Man weiss gar nicht mehr so recht, wie die fischende Menschheit ein Leben ohne Biofresh-Zone bewältigt hat. Die Biofresh-Zone ist ein Wunder der Technik. Legt man etwa einen Salatkopf in dieses etwas über Null Grad kalte Fach im Kühlschrank, so scheint das Blattwerk mit jedem Tag, der vergeht, noch frischer und knackiger zu werden.
Aber seine ganze Klasse spielt das Biofresh-Fach erst bei Fleischmaden aus. Diese Maden, die aus Eiern schlüpfen, die Fliegen in Aas legen, sind ein unschlagbarer Köder für Weissfische, und die wiederum brauchen wir, um auf Hecht, Egli oder Zander zu fischen. Früher, vor dem Biofresh-Fach dauerte es nur wenige Tage, bis sich die Maden in ihrem Sägemehl in der Plastikschale verpuppten und sich als Köder nicht mehr eigneten.
Meine Frau teilt grundsätzlich meine Begeisterung für das Biofresh-Fach, nicht aber als Frischhaltelager für Fleischmaden. Der ein oder andere Vorfall hat die Fronten etwas verhärten lassen. Man muss nämlich wissen, dass die Plastikschalen, in denen die Maden verkauft werden, nicht eben für die Ewigkeit gemacht sind. Als meine Frau das erste Mal die Maden auf Wanderschaft im Biofresh-Fach entdeckte, kühlte sich ihr Ton ungefähr auf die Temperatur jenes Faches ab.
Lauter Missverständnisse
Wir haben mit vielen Missverständnissen zu kämpfen. Die Leute glauben, wir fischen, um Fische zu fangen. Sie verstehen uns nicht. Sie haben gar nichts verstanden.
Ich jedenfalls will keine Fische fangen. Man stellt sich nicht stundenlang an einen Fluss, man übernachtet nicht tagelang an einem See, man kämpft nicht einen endlosen Tag auf See gegen den Brechreiz an, um Fische zu fangen. Man macht das, um meistens keine Fische zu fangen. Das ist der tiefere Sinn der Sache.
Meistens keine Fische zu fangen – darin liegt der Reiz, das höchste Glück, das nur noch vom Glück übertroffen wird, ab und zu mal einen Fisch zu fangen. Wer Fische nach Hause tragen will, geht zum Comestibles oder in die Migros um die Ecke. Zum Fischen aber geht der, der Fische nach Hause tragen möchte, nicht. Wir Fischer scheitern meistens, und wir scheitern gern. Im Fischen findet das Scheitern seinen höchsten Ausdruck. Denn nur wenn wir neunmal gescheitert sind, können wir einmal auch ein überglücklicher Mensch sein.
Dies soll der Versuch sein, zu erklären, warum hierzulande mehr als hunderttausend Männer an einem See oder einem Fluss stehen und Löcher in die Wasseroberfläche starren. Stundenlang, tagelang. Und warum das die übrigen 7,7 Millionen nicht verstehen. Wir müssen den anderen klar machen: Wir sind vielleicht ein bisschen verrückt, aber im Grunde sind wir ganz nett.
Das Problem beginnt bei der Anmutung. Unsereins steht manchmal in Kleidungsstücken am See oder am Fluss, bei denen andere zögern würden, sie in einen Altkleidercontainer zu werfen, weil auch Mitmenschen, die auf diese Spenden angewiesen sind, ein Recht auf einen Rest an Menschenwürde haben. So stehen wir dann da, gekleidet wie eine Vogelscheuche und auch ungefähr so lebendig, den Kopf tief zwischen den Schultern versenkt, die Kapuze eines alten Militärparkas über das Haupt gezogen, den Blick aufs Wasser geheftet.
Nur ganz Unerschrockene wagen die Frage: «Und beissen sie?»
Eine nette Frage eigentlich, aber nur dann, wenn sie an ein normales Sozialwesen gerichtet wird, nicht an einen durchschnittlichen Fischer. Der dreht sich um, blickt mürrisch und stösst im besten Fall eine einsilbige Ansammlung von Konsonanten aus, die sich wie „Mrrff“ anhört und dem Knurren eines Rottweilers ähnelt. Wir sind schlechte Botschafter unserer Sache. Warum reichen wir dem kleinen Buben nicht mal die Rute, dass er sie halten darf. Warum reden wir nicht flüssig und in Sätzen aus Subjekt-Prädikat-Objekt darüber, was so drin ist im See.
Es muss dringend was gegen diese interkulturelle Kluft getan werden. Normale Menschen müssen verstehen lernen, warum wir eine Party um zwölf verlassen, weil der Wetterwechsel für den nächsten Morgen um halb fünf am See gute Aussicht auf einen Fisch verspricht. Sie müssen verstehen lernen, warum es ein existenzielles Erlebnis ist, den Biss einer Schleie in klarem Wasser mitzuerleben, die in nervenzehrenden Runden um unseren Köder kreist, wieder und wieder, zweimal wegschwimmt, wiederkommt und den Cocktail aus Mais und Mistwurm dann doch endlich einsaugt, ganz langsam.
Will nach allen Regeln der Kunst verführt werden, der Lachs
Man kann diese Erfahrung durch nichts ersetzen. Man kann nur bedingt beschreiben, was passiert, wenn sich die Zapfen zitternd in Bewegung setzt und langsam abtaucht, die Schnur in Ringen von der Rolle gezogen wird. Es ist ein Kick, der nur wenigem gleichkommt. Und das lange Warten auf diesen Moment macht ihn erst zu einem grossen Moment. Man könnte auch in eine Forellenzucht gehen, auswerfen und postwendend den ersten Fisch landen. Aber das ist es nicht. Das Glücksgefühl, der Kick, stellt sich nur ein, wenn man vorher das lange Darben und Warten hinter sich gebracht hat. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Es geht nicht anders. Das ist der Kick, das ist der Sex an der Sache.
Einer britischen Umfrage zufolge haben zwei Drittel auf die Frage, ob sie lieber einen grossen Lachs am Haken oder ein Supermodel im Bett hätten, sich für den Lachs entschieden. So ein Lachs ist im Grunde auch viel erotischer als so ein makelloses Supermodel. Er hat eigentlich gar keine Lust auf etwas zu fressen, wenn er die Flüsse hinauf zieht und will nach allen Regeln der Kunst verführt werden, der Lachs, und hat er dann aber erstmal angebissen, dann geht es voll ab. Hinterher ist man völlig erschöpft, aber unendlich glücklich und befriedigt.
Natürlich kann ich mich an das erste Mal erinnern. Jeder Mann kann sich an das erste Mal erinnern. Das erste Mal, ich war gerade sieben geworden, tat ich es mit einer zart grünen Vollglassteckrute. Mein Vater hatte das an Jahren ehrwürdige Stück von einem Kollegen geschenkt bekommen. An dieser hellgrünen Rute ruckte und zuckte meine erste Forelle. Der besagte Kollege hatte meinem Vater erlaubt, an seiner Forellenstrecke zu fischen, und, wie es sich für einen siebenjährigen Jungen gehört, habe ich ihn bewundert, wie er den ersten Fisch fing. Den zweiten hat er generös mir überlassen. Dieses Erlebnis hat mich nie wieder losgelassen.
Das Glück am Haken
Der hier abgedruckte Artikel von Christoph Schwennicke ist eine Kurzform von seinem Werk «Das Glück am Haken – Der ewige Traum vom dicken Fisch», erschienen 2010. In diesem Buch erzählt er ausführlich, geistreich und oft selbstironisch von seiner geliebten Passion, dem Fischen. 240 Seiten, gebunden im Schutzumschlag, ISBN 978-3-426-27518-4, für ca. 25.– erhältlich im Fachhandel oder beim Droemer Verlag (www.droemer-knaur.de).
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